Wildes Lied der Liebe
Speisezimmer hatten sich Gäste um einen Tisch versammelt, der sich unter der Last der dargebotenen Speisen eigentlich hätte biegen müssen. Es gab Schinken, eine ganze Rinderkeule und Berge von Brathühnern nebst einer erklecklichen Anzahl anderer Speisen und Desserts. »So abgeschnitten von aller Welt sind wir nicht«, antwortete Mr. Vigil freundlich. »San Francisco ist bei gutem Wetter nur wenige Tagesritte von hier entfernt, und es geht das Gerücht, dass wir nun bald an die Eisenbahnlinie angeschlossen werden sollen.«
Die Erwähnung San Franciscos genügte, um Christy an ihre Mission zu erinnern, ihre Schwester in dieser oder einer anderen großen Stadt auf die besten Schulen zu schicken. Das war auch gut so, denn kaum hatte sie an Jakes Seite den Raum betreten, als sie auch schon beinahe mit Zachary zusammenprallte.
Dieser stieß bei ihrem Anblick einen leisen Pfiff aus, und seine Augen funkelten schalkhaft. Gerade in diesem Augenblick wurde Mr. Vigil von einem der Gäste angesprochen, sodass Christy plötzlich allein war mit dem Mann, dessen Nähe sie unter allen Umständen hatte meiden wollen.
»Gehen Sie«, flüsterte sie, klappte ihren Fächer auf und fächelte sich unruhig Luft zu.
Zachary lächelte und musterte ihr Kleid, die aufwändige Frisur und den Hauch von Rouge auf ihren Lippen. »Selbstverständlich«, erwiderte er. »Ich möchte Sie schließlich nicht von Ihrer Arbeit abhalten.«
4
Ich möchte Sie schließlich nicht von Ihrer Arbeit abhalten.
Christy blickte Zachary entsetzt an. Mr. Vigils Party verschwamm um sie herum zu einem Wirbel von Farben und Geräuschen. Trotz ihrer tiefen Abneigung gegen jegliche körperliche Gewalt musste sie sich sehr bezähmen, um dem Marshal nicht eine schallende Ohrfeige zu versetzen. »Wie bitte?«, stieß sie schließlich hervor.
Er sah ein wenig betrübt aus und außerdem leider atemberaubend attraktiv in dem schlichten Anzug und dem weißen Baumwollhemd. Zachary berührte leicht Christys Ellenbogen und führte sie aus der Mitte des Speisezimmers in eine abgeschiedene Ecke.
»Es tut mir Leid«, begann er, »aber ...« Er verstummte, offenbar mit seinen Gefühlen ringend. »Christy, wenn Sie Ihre Pläne wirklich in die Tat umsetzen, dann heiraten Sie nur ein Haus, aber keinen Mann. Sie ruinieren dadurch nicht nur Ihr Leben, sondern auch Jakes.«
»Ich muss schon sagen«, erwiderte Christy, die sich noch immer verärgert Luft zufächelte, »Ihre Dreistigkeit ist kaum zu fassen. Wie können Sie es wagen?«
Er umfasste ihre Arme, fest, jedoch nicht unangenehm. »Sie wissen genau, wovon ich rede«, beharrte er leise. »Zwischen uns ist etwas geschehen, mag es Becht oder Unrecht sein. Und ich für mein Teil möchte herausfinden, was es ist, solange wir noch Zeit dazu haben.«
Christy wandte sich ab, unfähig, ihm in die Augen zu sehen oder sich aus seinen Armen zu lösen. Als sie schließlich wieder zu ihm aufblickte, standen Tränen in ihren Augen. »Nur Narren heiraten aus Leidenschaft«, erklärte sie traurig. »Oder aus Liebe.« Sie hatte es selbst zweimal mit ansehen müssen.
»Nein«, widersprach er aufgebracht. »Nur Narren heiraten aus anderen Gründen.«
Sie dachte an die Hütte mit dem Lehmboden und den Ritzen in den Wänden. Es hatte ei n e Zeit gegeben, da wäre sie mit so wenig zufrieden gewesen, wenn sie dafür wahre Liebe gekannt hätte. Doch inzwischen wusste sie, wie selten diese war. Dennoch wäre Christy lieber unverheiratet geblieben, wenn sie die Wahl gehabt hätte. Doch eine Frau ohne Ehemann befand sich in einer schwierigen Lage, nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, sondern auch in finanzieller. Die Bordelle und Saloons waren voll von Frauen, die keinerlei Einkommen besaßen und keinen Mann hatten, der für ihren Unterhalt aufkam - sei es ein Vater, Bruder oder Gatte. Diesen Frauen blieb keine andere Wahl.
»Christy«, sagte Zachary und umfasste ihre Arme fester, »ich verlange ja nicht, dass Sie Jake nicht mehr treffen oder mit mir durchbrennen sollen, obwohl der Gedanken seinen Reiz hat. Aber bitte überstürzen Sie nicht eine Entscheidung, die so wichtig und endgültig ist.«
Christy richtete sich kerzengerade auf, streckte entschlossen das Kinn vor und trat einen Schritt zurück. »Sie verstehen das nicht«, entgegnete sie stolz und anklagend. »Und Sie werden es auch niemals begreifen, weil Sie ein Mann sind und alles im Leben erreichen können, wenn Sie es nur versuchen.«
»Nicht alles«, berichtigte er sie. Mit
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