Wildnis
betritt.“
Jan hatte sich schon halb erhoben und sank nun zurück. „Was hat Greg –“
„Was weiß ich? Sie sagt ja nichts. Sie plärrt nur ständig rum, dass sie nichts wert ist.“
Wie konnte Laura so herzlos sein?
„Schau mich nicht so an, Jan. Ich mache das seit heute Nacht nonstop mit, irgendwann ist mein Mitgefühl erschöpft. Ich ... ich kann sie besser verstehen, als du dir vorstellen kannst. Wenn du wüsstest, was ich schon so alles mitgemacht habe. Aber dieses Drecksselbstmitleid kann ich auf den Tod nicht ab.“
„Warum hast du sie angestachelt?“
Laura warf ihm einen bösen Blick zu. „Sie wollte unbedingt Sex haben. Schon seit wir hier sind, fiebert sie danach. Hast du das nicht gemerkt? Es würde mich nicht wundern, wenn sie genau deswegen mitgekommen ist.“
„Jenny ist nicht so berechnend.“
„Natürlich hat sie nicht in ihr Tagebuch mit dem Blümchenmuster geschrieben: ‚Fliege mit drei Jungs in die Wildnis, um mich endlich mal richtig durchvögeln zu lassen.‘“
Jan fehlte die Kraft, um sich mit Laura zu streiten. Der Tag wurde noch schwüler als der vorangehende. Sie schwiegen.
In der Türschwelle erschien Jenny. Sie schien ihn durch ihre Sonnenbrille anzuschauen, wandte den Kopf ab und grüßte leise, ging an ihnen vorbei und stand still auf der Wiese. Jan durchfuhr es: Genau dort hatte sie gestern mit Greg gesprochen, als der ihr etwas zugerufen und sie zu ihm aufgeschlossen hatte. Ihr musste heiß sein in ihrer langen Hose und dem dünnen Pullover, dennoch rührte sie sich minutenlang nicht.
Aus dem Wald kam Anna und lief zu Jenny. „Es tut mir leid“, sagte sie so laut, dass Jan von der Veranda aus mithören konnte.
„Was tut dir leid?“
„Was mit dir geschehen ist.“
„Was weißt du schon?“
„Ich verbringe meine Nächte zwar anders als du, aber im gleichen Haus.“
„Du schließt dich in deinem Zimmer ein, weil du Berührungsängste hast.“
„Die du mittlerweile abgelegt hast.“
„Ich habe mich in die Gruppe eingefügt, während du –“
„Während ich mir treu geblieben bin und mich nicht verkauft habe wie die letzte Schlampe!“
„Verkauft? Was fällt dir ein? Du bist so eine ekelige –“
Jan war auf die Wiese geeilt und trat dazwischen. „Ruhig ihr beiden. Ich glaube, das ist ein Missverständnis.“
„Sie hat ‚verkauft‘ gesagt!“ Jenny richtete den Zeigefinger auf Anna. „Und ‚Schlampe‘.“
Jan schob ihren Arm nach unten. „Euer ganzer Streit ist ein Missverständnis. Von Anfang an.“
„Nein! Sie ist eifersüchtig auf Laura und mich, aber das kann sie nicht zugeben. Sie hat mich eine Schlampe genannt!“ Jenny hatte sich beim Sprechen von Jan zurück zu Anna gewendet und starrte ihr in die Augen, zitternd vor Wut. Auf einmal holte sie aus und schlug mit der flachen Hand nach Annas Wange. Doch die war schneller. Sie blockte Jennys Arm, packte ihn und verdrehte ihr das Handgelenk. Jenny schrie auf. Anna zog sie zu sich und zischte ihr ins Gesicht: „Du hast keine Würde.“
Ehe Jan sich rühren konnte, rannte Anna in den Wald. „Komm zurück!“, brüllte Jan.
„Hau ab, du Ratte! Komm nie wieder!“, schrie Jenny ihr nach.
„Aber Jenny –“
„Niemand hat das Recht, mich zu bemitleiden. Es gibt nichts zu bereuen.“ Sie schritt aufrecht ins Haus.
„Bravo!“, sagte Laura, als Jenny an ihr vorbeistolzierte, und zu Jan: „Was für eine hinterhältige Zicke!“
Er kam zurück in den Schatten der Veranda. „Anna? Ihr hat Jenny leidgetan.“
„Bist du wirklich so naiv? Sie wollte die Gruppe auseinanderreißen und Jenny zu sich herüberziehen.“
„Wovon redest du? Anna hat sich ungeschickt angestellt und Jennys Selbsthass abbekommen. “
„Mit dir versucht sie es doch auch!“
„Du hast sie ja nicht mehr alle.“ Jan ging in die Richtung, in der Anna verschwunden war.
Laura rief ihm nach: „Bleib doch gleich bei der alten Giftspritze!“
Anna war weder auf ihrer Lichtung noch am Wasserfall. Auch am See fand er sie nicht. Er lief das Ufer entlang bis zur Kiefer, die hinaus aufs Wasser ragte, und legte sich mit dem Rücken auf den dicken Stamm. Ein Bein ließ er links, das andere rechts hinunterbaumeln. Die Wolken türmten sich über dem Gebirge, wanderten in seine Richtung, lösten sich auf und kamen doch unmerklich näher.
Er hatte keine Verbündeten mehr in der Gruppe. Jenny hatte ihn verraten. Michael buhlte heimlich um Anna und verfolgte einen undurchsichtigen Plan, verteidigte Anna nicht und
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