Wildrosengeheimnisse
viele Gerüchte um diesen etwas unheimlichen Ort. Zum Beispiel existiert die Sage, dass in der Tiefe riesengroße Welse, fast schon Seeungeheuer, leben, die die armen verunglückten Taucher auffressen, weshalb diese nie an die Seeoberfläche zurückkehren.
»Maja, hörst du das?«, unterbricht Michael die unheimliche Stille.
Als wir uns dem Seeufer nähern, höre ich tatsächlich Stimmen.
Es sind die jungen Leute auf dem Motorboot, die sich mit Michaels Kollegen von der Wasserschutzpolizei, die Michael von unterwegs angerufen hatte, lautstark unterhalten.
»Wir haben ein bisschen gefeiert, aber keine Drogen genommen. Im Ernst, wir sind sogar ziemlich nüchtern«, höre ich Ben, noch bevor ich ihn sehen kann.
»Eigentlich wollten wir schwimmen gehen«, sagt ein Freund von ihm darauf. »Und dann haben die Mädels auf einmal herumgekreischt: ›Iiiiihhh, da schwimmt was. Da ist eine Leiche oder so.‹«
»Eine Leiche oder so, aha«, antwortet Michaels Kollege gerade, als wir ankommen und uns kurz vorstellen. »Und wo ist die Leiche oder so jetzt, wenn ich mal fragen darf?«
»Das wissen wir nicht. Wir sind ein wenig abgetrieben, aber die Leiche kann auch abgetrieben sein, was weiß denn ich? Auf jeden Fall ist es stockdunkel und wir haben auf einmal nichts mehr gesehen.«
Die jungen Leute sind aufgeregt und reden alle durcheinander. Nachdem sie noch einmal haarklein erläutert haben, wo sie was gesehen haben wollen, und ihre Personalien angegeben haben, fährt die Wasserschutzpolizei langsam davon, nicht ohne ihre großen Leuchten einzusetzen, um den See um den Teufelstisch herum genauestens nach einer Leiche abzusuchen.
Michael und ich, die an Bord geklettert sind, fahren hinterher und unterhalten uns ein wenig mit den Jugendlichen.
»Mami, du kannst dir nicht vorstellen, wie gruselig das war«, sagt Nini mit großen Augen. Doch, das kann ich gut. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich mir die gespenstische Stelle vorstelle. Auch ohne Leiche sieht es hier nicht gerade gemütlich aus.
Die hohen, dunklen Bäume, die Stille ringsum, nur das Mondlicht leuchtet schwach auf den dunklen See.
Es ist nichts zu sehen, keine Leiche, nicht einmal ein Fisch.
Ehrlich gesagt, kann ich den Teufelstisch bei der Dunkelheit kaum erkennen.
»Bestimmt habt ihr euch getäuscht«, meint Michael, um die Jugendlichen zu beruhigen. »In der Dunkelheit nimmt man Dinge oft anders wahr, als sie tatsächlich sind.«
So ganz überzeugt scheint Nini aber nicht zu sein.
»Möchtest du mit uns mit dem Auto nach Hause fahren?«, frage ich sie daher.
»Nein, nein, lass mal. Ich fahre mit den anderen zurück. Uns ist der Spaß am Feiern jetzt auch vergangen. Wir kommen dann gleich nach«, antwortet sie, während wir wieder zur Anlegestelle zurückfahren.
»Wenn aber noch was ist, dann ruf mich gleich an, ja?«, verabschiede ich mich.
»Oder mich«, ergänzt Michael und steckt den Jungs noch seine Karte zu, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machen. Höchste Zeit, dass ich nach diesem aufregenden Abend endlich ins Bett komme. Denn morgen ist mein Geburtstag – und zwar mein 40..
*
Ausgerechnet heute lacht die Sonne und ich kann mich nicht einmal darüber freuen, denn das bedeutet wieder viel Arbeit im Café.
Da ich andere Sorgen habe, brauche ich mich nicht darüber zu grämen, 40 zu werden, wie so viele das tun. Warum eigentlich? Ich finde, dass das ein ganz tolles Alter ist.
Schon früh stehen meine Mama und Steve vor der Tür, beladen mit einem riesengroßen Sommerblumenstrauß und einer wunderschönen Bluse, die sie aus Amerika für mich mitgebracht haben.
Auch Nini hat eine Überraschung für mich: Sie hat Konzertkarten für ein Konzert von Katie Melua im Oktober in Mannheim für mich gekauft.
»Damit du mich auf jeden Fall dort besuchen kommst. Dann machen wir beide uns einen schönen Mädelsabend«, lacht sie, als sie mir die Karten überreicht.
Sogar Emily kommt vor dem Besuch im Krankenhaus vorbei, mit selbst hergestellten Perlmutt-Ohrringen.
Blass und klein sieht sie aus und schrecklich unglücklich, obwohl sie ihre Sorgen hinter einer Maske aus starren Gesichtszügen und einem Lächeln, das wie hingetackert wirkt, verbirgt.
Ich freue mich so sehr, sie zu sehen, dass mir die Tränen kommen.
Natürlich kann sie nicht lange bleiben, da sie wieder zu Thomas will. Ich traue mich nicht, sie zu fragen, wie es ihm geht, das sehe ich auch so an ihren Augen. Dennoch beteuert sie, dass es ihr gut gehe, und
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