Will Trent 01 - Verstummt
tun?«
»Ihr Vater befand sich die meiste Zeit nicht in der Stadt. Sie war viel allein und ohne elterliche Aufsicht.«
»Gina und ich haben uns die größte Mühe gegeben, auf sie aufzupassen.« Er hatte Wills Bemerkung als Kritik verstanden.
»Hat Ihre Schwiegermutter sie tagsüber oft zu Hause gesehen?«
»Das müssen Sie Barbara fragen«, erwiderte Michael und parkte das Auto vor Block neun.
»Hätten Sie was dagegen, wenn ich es tue?«
»Barbara und ich stehen uns ziemlich nahe, und sie hat nie erwähnt, dass Cynthia oft zu Hause ist. Ich frage sie, okay. Aber ich glaube, das ist eine Sackgasse. Cyn war ein braves Mädchen. Sie hatte tolle Noten in der Schule, war nie in Schwierigkeiten. Phil hat immer gesagt, sie ist ein Engel.«
»Sie scheinen eine ganze Menge über sie zu wissen.«
Michael starrte auf seine Hände am Lenkrad. Als er dann redete, klang es, als würde er Will etwas anvertrauen. »Wir haben uns bemüht, auf sie aufzupassen. Phil war nie zu Hause. Seine Frau ist vor ungefähr sechs Jahren mit irgendeinem Loser durchgebrannt und hat sich um nichts mehr gekümmert. Er hat sein Bestes gegeben, aber ich weiß auch nicht...« Er drehte sich zu Will um. »Das Beste ist einfach nicht gut genug, wenn man ein Kind hat - man muss noch besser sein. Man ändert seine Prioritäten, schafft sich nicht alle zwei Jahre ein neues Auto an, trägt keine teuren Anzüge und geht nicht mehr dauernd in Restaurants oder Kinos. Man bringt Opfer.«
»Phil hat das nicht getan?«
»Ich glaube, ich habe schon genug gesagt«, entgegnete Michael und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. »Er hat jetzt im Augenblick genug am Hals, ohne dass Freunde ihm in den Rücken fallen.«
Michael öffnete die Autotür. »Der BMW ist verschwunden«, stellte er fest und meinte damit, dass der Lude wahrscheinlich nicht zu Hause war.
Will folgte ihm zu der Wohnung der Großmutter, die im Erdgeschoss lag. Sie klopften mehrere Male, aber obwohl sie von drinnen einen Fernseher plärren und die alte Frau zusammen mit dem Studiopublikum lachen hörten, kam niemand an die Tür.
»Monroes Wohnung ist im obersten Stock?«, fragte Will.
»Ja«, antwortete Michael. »Ich würde nicht den Aufzug nehmen, wenn ich Sie wäre.«
Will folgte Michael die Treppe hinauf. Bis auf den Lärm aus der Wohnung der Großmutter war es still im Gebäude. Die Leute waren entweder in der Arbeit
oder schliefen den Rausch der letzten Nacht aus. Das einzige Geräusch war das ihrer Sohlen auf den Stufen.
Kurz vor dem obersten Stock wurde Will langsamer und blieb an der Stelle stehen, wo man Aleesha Monroes Leiche gefunden hatte. Noch immer waren Blutflecken auf den Stufen zu sehen, obwohl jemand ganz offensichtlich versucht hatte, die Spuren zu entfernen.
»Sie starb hier«, sagte Michael und blieb auf dem Absatz stehen, um Atem zu holen.
Will kniete sich hin, um sich das Muster anzusehen, den Geist von blutigen Handabdrücken, die die Treppe hochwanderten. Die Tatortfotos waren schon schlimm genug, aber die Stelle, wo die Frau gestorben war, hatte etwas Unheimliches.
»Ich glaube, er wollte nicht, dass sie starb.«
Will schaute hoch und dachte, dass der Mann das mindestens schon zweimal gesagt hatte. »Warum?«
»Sie hatte sich auf den Rücken gedreht.« Er deutete auf den Umriss, wo Monroe gelegen hatte. »Das Blut sammelte sich in der Mundhöhle an, und sie erstickte.« Er hielt kurz inne und blickte auf die blutigen Stufen. »Es ist traurig, aber so was kommt vor.«
Will konnte sich an keinen seiner Fälle erinnern, bei dem so etwas passiert war, aber er nickte, als würden dauernd Leute zufällig so sterben. Er fragte: »Was glauben Sie, was geschehen ist?«
Mit zusammengekniffenen Augen schaute Michael die Treppe empor, als könnte er so den Ablauf direkt vor sich sehen. »Ich schätze, sie waren in der Wohnung, als es zu irgendeinem Streit kam. Der Stecher ging wieder, und vielleicht wollte sie das nicht. Hier rauften sie«, er deutete auf die Stufen, »und dann wurde es übel.«
»War die Tür verschlossen oder unverschlossen, als der erste Polizist eintraf?« »Unverschlossen.«
Will stellte sich den Ablauf nun ebenfalls vor und dachte, dass Michaels Szenario so wahrscheinlich war wie jedes andere. »Haben Sie den Schlüssel?«
»Ja.« Michael zog eine Plastiktüte aus der Tasche. Er rollte die Tüte auf und zeigte Will einen Schlüssel an einem roten Anhänger. »Er war in ihrer Handtasche.«
»Haben Sie sonst noch was
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