Will Trent 02 - Entsetzen
unterschiedlichen Schutzhüllen in einer ganz speziellen Reihenfolge angeordnet waren. Das erinnerte ihn an seine eigene CD-Sammlung zu Hause, daran, dass er ein spezielles Album nicht anhand der Beschriftung identifizierte, sondern anhand der Farbe, der Logos der Plattenfirmen, der grafischen Gestaltung.
Will spürte ein Prickeln sein Rückgrat hochwandern.
»Was ist mit den Kundendaten auf den Regalen? Hat Warren auch für die ein System?«
»Die CDs?« Petty lachte. »Scheiße, Mann, ich habe wirklich keine Ahnung, wie er die archiviert. Ich darf sie ja nicht einmal berühren.«
»Aber Warren weiß, wo alles ist, richtig?«
»Er findet alles mit geschlossenen Augen.«
Will bezweifelte das. Warren orientierte sich an den Farben und Mustern, um etwas zu finden. »Waren Sie an dem Tag, als Emma entführt wurde, hier bei der Arbeit?«
»Ich hatte mich krankgemeldet. Totale Kopfschmerzen.«
»Ist Warren Linkshänder?«
Als Antwort hielt Petty eine Hand in die Höhe. Will konnte nicht sagen, welche es war; es fiel seinem Gehirn schwer, zwischen links und rechts zu unterscheiden.
»Da haben wir's ja«, sagte Petty und zog einen Ordner heraus. »Ignorieren Sie die Tippfehler. Warren ist ein totaler Spinner. Er kann überhaupt nicht richtig schreiben, aber er will's nicht zugeben.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Will, obwohl er die Antwort bereits kannte. Warren farbcodierte die CDs, denn er verließ sich auf visuelle Signale, wenn er etwas suchte. Den Beweis dafür hatte Will schon vor Augen gehabt, als er zum ersten Mal ins Büro des Managers kam, um sich die Überwachungsbänder anzuschauen. Warren benutzte das Farbcodierungssystem aus demselben Grund wie Will: Er konnte nicht lesen.
Petty sagte: »Warren ist meistens völlig okay, aber er will einfach nicht zugeben, dass er bei irgendwas einen Fehler machen könnte. Es ist hier fast so, als würde man im verdammten Weißen Haus arbeiten.«
»Ich meinte die Schreibfehler. Sie haben gesagt, er kann nicht rechtschreiben. Was meinen Sie damit?«
Petty zuckte die Achseln und gab ihm ein Blatt Papier. »So wie das da, Mann. Ich meine, das ist doch so, als wäre er noch im Kindergarten, oder?«
Will betrachtete das Blatt. Sein Magen drehte sich um. Er sah nur Zeilen.
»Warten Sie, ich zeige Ihnen was.« Petty zog eine andere Schublade auf, und zwischen den Hängeordnern sah Will mehrere Messer der Art, wie Petty eins in der Hand gehabt hatte.
»Woher haben Sie die?«
Petty bückte sich tief und schob die Hand bis in den hinteren Teil der Schublade. »Na ja, aus dem Cafe ein Stückchen weiter unten. Werden Sie uns anzeigen?«
»Warren stiehlt sie also?«
»Tun wir beide, Mann. Die Steakery gibt uns nur diese billigen Plastikmesser.« Als er sich aufsetzte, hatte er ein Buch auf dem Schoß. »Ich bringe sie zurück, Mann. Ich weiß, dass es Diebstahl ist.«
Will deutete auf das Buch. »Geben Sie mir das.«
Petty gab es ihm. »Das ist erbärmlich, Mann. Er tut immer so, als wäre er perfekt, als wäre er ein mentales Genie, und dann schmuggelt er so was hier rein? Klassisch Warren. Was für ein Loser.«
Will starrte das Deckblatt an. Den Titel konnte er nicht lesen, aber die vielfarbigen Dreiecke und Quadrate erkannte er sofort. Evan Bernard hatte ihm heute Morgen ein ähnliches Buch gezeigt. Es war das Lehrbuch, das auch Emma Campano benutzt hatte.
»Schlagen Sie's auf«, sagte Petty. »>Peter isst einen Apfel.< >Mary spielt mit der Puppe.< Ich meine, das ist doch wie ein Buch für zurückgebliebene Einjährige. Das kapier ich einfach nicht.«
Will schlug das Buch auf. »Woher hat er das?«
Petty zuckte die Achseln und lehnte sich zurück. »Wenn mir langweilig wird, stöbere ich manchmal in seinen Sachen. Vor ein oder zwei Wochen habe ich es dann versteckt ganz hinten in der Schublade gefunden.«
Er schien sich der schlechten Angewohnheit nicht zu schämen, aber quasi als Rechtfertigung lieferte er eine weitere Information. »Warren muss jede Woche einen Bericht an den Konzern liefern. Ich gehe an seinen Computer und lasse die Berichte so aussehen, als wären sie nicht von einem Idioten gemacht.«
»Eine Rechtschreibprüfung benutzt er nicht?«
»Mann, die Rechtschreibprüfung ist nicht gerade Warrens Freund.«
Auf dem Schreibtisch stand kein Computer. »Wo ist sein Computer?«
»Früher hat er ihn hier gelassen, aber in letzter Zeit trägt er ihn immer in seiner Aktentasche herum.« Er machte eine anzügliche Bewegung mit der hohlen Faust.
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