Will Trent 02 - Entsetzen
Männern an gemeinen und entwürdigenden Begriffen zur Verfügung stand, um eine Frau zu beleidigen, bei der sich alle in die Hose machten, wenn sie nur fünf Minuten mit ihr allein waren.
Die Handvoll Detectives in der direkten Umgebung von Faiths Schreibtisch warfen ihr neugierige Blicke zu - nicht, weil sie an dem Fall arbeitete, sondern wegen der Ausdrücke. Faith zuckte nur die Achseln und schaute wieder zum Fernseher, wo Amanda sehr geschickt mit den Reportern umging. Doch sie spürte die Blicke der Männer auf sich.
Diese Art von Belastungsprüfung fand beinahe täglich statt. Wenn Faith ihnen sagte, sie sollten die Klappe halten, dann war sie eine Spielverderberin, die keinen Spaß verstand. Wenn sie die Sprüche ignorierte, nahmen sie ihr Schweigen als wortlose Zustimmung. Doch es ging noch weiter. Wenn sie ihre sexuellen Avancen zurückwies, war sie eine Lesbe. Wenn sie sich mit einem von ihnen auf ein Rendezvous einließ, nannte man sie gleich eine Nutte. So oder so konnte Faith nicht gewinnen, und ihr war die Zeit zu schade, es ihnen mit gleicher Münze zurückzuzahlen.
Und doch liebte sie es, hier zu arbeiten, liebte das Gefühl, Teil einer Bruderschaft zu sein. Das war der Grund, warum Will Trent nicht redete und sich verhielt wie ein Polizist. Er arbeitete nicht in einem Bereitschaftssaal. Er schwadronierte nicht mit Charlie Reed und Hamish Patel bei einem Bier. Er war natürlich Teil eines Teams, aber die Arbeit mit ihm war so, als würde man in einer Blase arbeiten. Es gab nie das Gemurmel von Leuten im Hintergrund, keine Rangeleien um Selbstbestätigung und lukrative Fälle. Seine Art zu arbeiten war konzentrierter, aber auch so anders als das, woran Faith gewohnt war, dass sie jetzt, inmitten ihrer alten Kollegen, das Gefühl hatte, sie gehöre nicht mehr dazu. Eines musste sie zugeben: Trotz all seiner Fehler hörte Will wenigstens zu, wenn sie etwas zu sagen hatte. Es war nett, eine Diskussion mit einem Kollegen zu führen, der nicht gleich fragte: »Was ist, hast du deine Tage?«, wenn sie anderer Meinung war als er.
Faith schaute wieder zum Fernseher. Amanda nickte, als ein Reporter nach Westfield und der Verhaftung von Evan Bernard fragte. Sie sah absolut strahlend aus, und Faith musste zugeben, dass sie vor der Kamera in ihrem Element war. Die Reporter fraßen ihr aus der Hand. »Mr. Bernard ist eine Person, an der wir Interesse haben.«
»Hast du Interesse dafür?«, schrie einer der Detectives. Faith musste nicht zu ihm hinüberschauen, um zu wissen, dass er die Hand an den Genitalien hatte.
Amanda beantwortete eine weitere Frage. »Der Verdächtige ist ein achtundzwanzigjähriger Mann mit einschlägiger Vergangenheit.«
Aus dem Off fragte ein Reporter: »Warum geben Sie seinen Namen nicht bekannt?«
»Durch die richterliche Vernehmung zur Anklage wird die Öffentlichkeit morgen früh seinen Namen erfahren«, sagte sie und vermied so eine Erwähnung des Offensichtlichen, nämlich dass sie Warrens Namen so lange wie möglich der Presse vorenthielten, damit nicht irgendein hilfsbereiter Gutmensch auf die Idee kam, ihm rechtlichen Beistand anzubieten. Die Tatsache, dass Lionel Petty CNN.com bereits ein Foto von sich und Warren Grier, neben einem Kopiergerät stehend, hatte zukommen lassen, würde sowieso schnell gegen sie arbeiten.
Ein anderer Reporter dachte offensichtlich dasselbe wie Faith. »Was ist mit dem vermissten Mädchen? Gibt es Hinweise auf ihren Aufenthaltsort?«
»Wir glauben, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Emma Campano gefunden wird.«
Faith fiel auf, dass Amanda nicht sagte, ob das Mädchen dann tot oder lebendig sein würde. Plötzlich empfand sie heftigen Neid auf Amanda und ihre Position. Wie Faiths Mutter hatte auch Amanda sich an die Spitze hochgearbeitet. Wenn Faith hin und wieder ein bisschen Frauenfeindlichkeit hinnehmen musste, so konnte sie sich kaum vorstellen, wie das für die Frauen der Generation ihrer Mutter gewesen sein musste.
Amanda hatte als Sekretärin angefangen, so wie Evelyn Mitchell, zu einer Zeit, als weibliche Beamte noch knielange Wollröcke tragen mussten, wenn sie Kaffee holten oder Bestellungen tippten. Amanda hatte sich mit Klauen und Zähnen bis an die Spitze hochgearbeitet, nur um sich von einer Horde Idioten, denen prähistorischer Schleim aus der Nase tropfte, verunglimpfen zu lassen, nachdem sie einen der größten Fälle gelöst hatte, den diese Stadt gesehen hatte, seit Wayne Williams dabei ertappt worden war, wie er eine
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