Wille zur Macht
Ayse dämmerte jetzt, was ihre Freundin vorhatte. Sie rannten die Treppe ins Besprechungszimmer hoch, und Ayse holte die von Sigrid Janssen unterzeichnete Erklärung.
Mechthild setzte sich auf einen der Tische. „Ruf sofort den Telephonanbieter an und lass das Handy von Frau Janssen orten!“ Ayse griff sofort zum Telephon. „Und Sie, Heller, funken jetzt unsere beiden Kollegen an. Sie sollen unten im Hof auf uns warten!“
Jetzt war auch Heller klargeworden, was abging. Sie wollten über die Handydaten möglichst genau herausfinden, wo sich Sigrid Janssen im Augenblick aufhielt. Vielleicht die einzige Möglichkeit, sie noch zu finden.
„Mordkommission Bremen. Ayse Günher hier. Ich möchte mit jemandem sprechen, der mir aktuelle Verbindungsdaten für ein Mobiltelephon geben kann.“ Ayse musste einen Augenblick warten. Aber dann meldete sich ein junger Mann. Sie schilderte ihm, worum es ging und wollte ihm gerade die Telephonnummer von Sigrid Janssen geben, als er sie unterbrach.
„Tut mir leid. So einfach ist das nicht. Da kann ja jeder kommen und anrufen. Woher weiß ich denn, dass Sie von der Polizei sind?“
„Hören Sie mal!“ Ayse war aufgebracht. „Hier geht es um einen Notfall!“
„Das ist mir völlig egal“, erwiderte ihr Gesprächspartner. „Schicken Sie mir erst einmal die richterliche Anordnung. Dann sehen wir weiter.“
„Moment.“ Ayse versuchte sich zu beruhigen. „Ich habe hier die schriftliche Einverständniserklärung Ihrer Kundin, dass wir ihre Verbindungsdaten abrufen dürfen. Sagen Sie mir Ihre Faxnummer und bleiben Sie dran.“
Ayse blickte zu Mechthild und hielt die Sprechmuschel zu. „Er will nicht“, erklärte sie. Mechthild kochte vor Wut. Sie riss Ayse den Hörer aus der Hand.
„Hören Sie mal zu, mein Herr. Hier spricht Kriminaloberrätin Mechthild Kayser. Ich leite die Mordkommission. Sie behindern hier nicht nur gerade eine Ermittlung, sondern gefährden auch das Leben einer Ihrer Kunden. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Firma einen auf den Sack bekommt und ich Ihnen anschließend den Arsch aufreiße, dann tun Sie besser genau das, was ich jetzt von Ihnen will. Sie kriegen jetzt mit der Kennung des Polizeipräsidiums ein Fax von mir, und dann sehen Sie zu, dass Sie mir die aktuellen Ortungsdaten besorgen. Haben wir uns verstanden?“
Mechthild war außer sich. So hatte Ayse ihre Freundin noch nie erlebt. Sie musste sich sehr große Sorgen um Sigrid Janssen machen. Nur in Momenten, in denen Mechthild wirklich Angst um das Leben eines Menschen hatte, konnte sie so aufbrausen. Der Mann der Telephongesellschaft am anderen Ende der Leitung schluckte. So hatte noch niemand mit ihm gesprochen. Schon gar nicht eine Frau. Der Gedanke, einfach aufzulegen, kam ihm als Erstes. Aber dann besann er sich. Wenn an der Sache etwas dran sein würde, hätte er am Ende vielleicht seinen Job verloren.
„Also gut.“ Er nannte die Nummer des Faxanschlusses in seiner Zentrale, und Mechthild sprach laut für Ayse die Ziffern nach. Dann zog das Gerät die Seite mit der Erklärung ein und sandte sie ab. Mechthild gab vorab schon die Mobilfunknummer von Sigrid Janssen durch und forderte den jungen Mann auf, sofort anzufangen und nicht auf den Ausdruck des Fax zu warten. Vom anderen Ende der Leitung konnte Mechthild die Tippgeräusche auf einer Tastatur hören.
„Das Handy ist auf Empfang. Moment, ich grenze es ein ... Es befindet sich in Bremen, Europahafen, genau zwischen den beiden Sendemasten von Speicher zwei und drei.“
Mechthild gab Heller und Ayse ein Zeichen, dass es sofort losgehen würde. „Halten Sie sich in Ihrer Zentrale bereit. Vielleicht müssen wir uns von unterwegs noch einmal melden.“ Dann knallte sie den Hörer auf.
Alle drei rannten die Treppen in den Hof des Präsidiums hinunter. Im Laufen informierte Mechthild ihre Kollegen. „Europahafen, Speicher zwei und drei!“ Sie sprangen in den Dienstwagen, Heller informierte noch schnell Behrmann und Souton, und eine Sekunde nachdem Ayse das Zuschlagen der hinteren Tür durch Heller hörte, raste sie auch schon mit quietschenden Reifen davon. Blaulicht und Martinshorn wurden von Mechthild eingeschaltet und verschafften Ayse den erforderlichen Raum, um ihren Wagen wie eine Rallyefahrerin durch den abendlichen Verkehr zu manövrieren. Der schnellste Weg war ihrer Meinung nach direkt über den beschaulich und stimmungsvoll erleuchteten Marktplatz, dessen Rathaus seit neuestem Weltkulturerbe war.
Als sie neben dem
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