Wille zur Macht
zurück. Hinter ihrem Wohnzimmerfenster wartete sie das Eintreffen des Streifenwagens ab. Als sie ihn herannahen sah, zog sie ihre Jacke über und verließ das Haus. Der Streifenwagen hielt genau neben dem Wohnmobil. Als Mechthild ihr Fahrrad aus dem Vorgarten schob, klopfte einer der Beamten gerade an die Tür des Fahrzeugs. Er hatte darin eine Person ausgemacht, die er nun aufforderte, zu öffnen. Mechthild schwang sich auf den Sattel und radelte schnell davon. Die erste Gelegenheit, in eine Nebenstraße abzubiegen, nutzte sie, um ihren hinter ihr herspähenden Beobachter zu täuschen. Dann war sie aus seinem Blickfeld verschwunden. Sicher ist mein unerwünschter Begleiter nicht dumm, dachte sich Mechthild. Das bedeutete wahrscheinlich auch, dass er nun wusste, dass sie ihn entdeckt hatte. Aber vielleicht war das so gedacht. Schließlich gab es auch so etwas wie eine offene Observation, wo der Betroffene erkennen sollte, dass er beobachtet wurde. Um ihn zu verunsichern und zu lähmen.
Sie war früher als geplant im Horner Eck angekommen. Ihr Magen knurrte, und so bestellte sie sich zu ihrer Weinschorle noch eine der auf einer Schiefertafel angepriesenen hausgemachten Frikadellen. In Gedanken versunken starrte sie abwesend auf den seine Arbeit verrichtenden Wirt.
„So vereinigt sich sinnbildlich das Proletariat mit der herrschenden Klasse; wenigstens in Ihrem Magen.“ Klaus Haschner stand an Mechthilds Tisch und lächelte freundlich. Sie benötigte einen Moment, um den Scherz Haschners richtig zu verstehen.
„Es ist nur eine Weinschorle“, gab sie zurück und versuchte ebenfalls zu lächeln. Es gelang ihr nicht überzeugend.
Mit den Worten „Tja, den Herrschenden geht es eben auch nicht mehr so gut“ setzte sich Haschner ihr gegenüber. Er entdeckte in ihrem Gesicht die bedrückte Ernsthaftigkeit, die es Mechthild nicht ermöglichte, einen unverbindlichen Smalltalk zu beginnen. Haschner spürte sofort, dass es um etwas ging, das die Chefin der Mordkommission ihm mit größter Vorsicht zu verstehen geben wollte. Auch er wollte vorsichtig bleiben. Er wusste aus Erfahrung, dass ein Behördenangehöriger mit einem halbdienstlichen Gespräch meistens eines meinte, dass nicht stattgefunden haben sollte. Und dass es im Anschluss journalistisch oft nur schwer seriös zu bearbeiten war, da es häufig an der Belegbarkeit mangelte. Aber auch eine nicht sofort verwertbare Information konnte wertvoll sein. Später einmal.
Mechthild Kayser kam sofort auf den Punkt. Sie erklärte Haschner ihre Schwierigkeiten, in das Umfeld von Christian Dunker einzudringen. Klaus Haschner glaubte zu wissen, worum es Mechthild ging, und erhob sich sofort demonstrativ. „Keine Chance, Frau Kayser. Für so etwas stehe ich nicht zur Verfügung.“ Er machte Anstalten zu gehen.
Mechthild ergriff seine Hand. „Hören Sie mir bis zum Ende zu. Es ist ganz anders als Sie vermuten. Bitte. Ich brauche auch Ihre Meinung.“
Haschner zögerte. Mechthild Kaysers emotionaler Ausbruch ließ ihn vermuten, dass sie sich in einer Ausnahmesituation befand. Und wenn sie nur seine Meinung hören wollte? „Also gut.“ Haschner ließ sich wieder auf den Holzstuhl sinken. „Bring mir ein Haake Beck, Karl.“ Der Wirt verschwand und begann hinter der Theke zu zapfen.
Mechthild war klar, dass sie einen falschen Einstieg für dieses Gespräch gewählt hatte. Nun begann sie an einem anderen Punkt. Sie schilderte Haschner die Folter, die Christian Dunker zu erleiden hatte. Etwas, das sie bisher im Detail aus der Presseberichterstattung herausgehalten hatten. Sie wollte Haschner zeigen, dass sie offen sein wollte. Dann ging sie über zu den Bemühungen Kurt Roders, alle Ermittlungen in die Richtung der Neonazis zu lenken. Haschner sagte kein Wort. Ab und zu nickte er. Das war alles noch nicht ungewöhnlich für ihn. Auch der Umstand, dass der potenzielle Mörder Dunkers aus Lettland eingeflogen war, beeindruckte ihn nicht besonders. Aber als Mechthild ihm von der persönlichen Warnung aus dem BKA, den Gründen für den Rücktritt des Innensenators und den Personen auf dem in der Presse veröffentlichten Bild berichtete, wurde er langsam hellhörig. „Sie vermuten eine Verbindung?“
„Sie nicht?“ spottete Mechthild und es tat ihr leid, jetzt zynisch geworden zu sein. Als sie das Zustandekommen des Treffens im Moskau erläuterte und einen Ausdruck aus den amtlichen Bekanntmachungen in Nürnberg und Bremen auf den Tisch legte, aus denen hervorging, wer
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