Willkommen im Totenhaus
mußte nur Schlimmes erlebt haben und brüllte seine Angst hinaus.
»Wir müssen was tun, John! Mein Gott, wir müssen was tun! Wir müssen ihn da wegholen. Ihn und die anderen!« Kelly dachte nicht mehr an sich, sie wollte losrennen. Zum Glück bekam ich sie sehr schnell zu fassen und zerrte sie zurück.
»Nein, Sie bleiben hier!«
»Aber…«
»Das ist unsere Sache!«
»Ja, gut – ja.«
Ich hatte das Fernlicht ausgestellt, aber unsere Sicht auf Graystone Hall blieb weiterhin recht klar. So bekamen wir mit, wie sich der junge Mann auf der Veranda bewegte. Er wollte weg von ihr. Er hatte sich nach vorn gebeugt und kippte jetzt über die Brüstung hinweg. DabeHieß er sich sehr langsam nach vorn fallen, streckte die Arme aus und mußte eigentlich in die I iele Killen. Ja und nein.
Er war gekippt, aber er schaffte es trotzdem, sich an einem der unteren, breiten Haltebalken festzuklammern. Auf uns wirkte er wie eine Person, die man außen an das Haus geklebt hatte. So wie er konnte sich kein Mensch halten.
Suko und ich waren unterwegs. Wir hatten unseren ursprünglichen Plan aufgegeben, zuerst normal auf das Haus zuzugehen und es dann zu betreten. Hier war jemand in Not, der gerettet werden mußte.
Der Junge >klebte< noch immer an diesem breiten Balkon. Wir hörten ihn auch schreien, doch diese Laute glichen mehr einem Wimmern. Da war die Furcht zu groß geworden.
Wenn er fiel, wollten wir in seiner Nähe sein, um ihn möglicherweise abzustützen.
Wir schafften es nicht.
Er löste sich von der Hauswand, und es sah aus, als fiele er in einem Zeitlupentempo nach unten. Noch in der Luft drehte er sich herum. Dabei fiel mir zumindest etwas auf. Seine Beine hätten sich in der Luft bewegen müssen und dabei auseinanderklappen wie zu einem angesetzten Spagat.
Er fiel.
Ohne Beine?
Dann schlug er auf!
Wir waren viel zu spät, aber diese Szene vergaß ich nicht. Sie hatte sich bei mir im Kopf tief eingegraben. Wir rannten so schnell wie möglich. Es war kein glatter Untergrund, und wir mußten immer wieder irgendwelchen Bodenwellen und auch kleinen Vertiefungen ausweichen.
Graystone Hall wuchs vor uns auf. Wir hatten keine Zeit, uns auf das Gebäude zu konzentrieren. Bei uns stand die Rettung des jungen Mannes an erster Stelle.
Tot war er nicht. Auch nicht bewußtlos. Er lag wie ein dicker Klumpen vor dem Haus, und seine Schreie wehten uns wimmernd entgegen. Dabei hatte er beide Arme in die Höhe gestreckt und bewegte sie wieder so winkend wie auf der Veranda.
Es waren nur noch wenige Meter, bis wir das Ziel erreicht halten. Die Bäume standen hier dichtet. Ihre toten Arme wuchsen glücklicherweise nicht so tief, als daß sie uns gestört hätten.
»Hilfe… Hilfe…« Ein dünnes Wimmern erreichte uns. Hände streckten sich uns bittend entgegen. Die Augen waren weit geöffnet. Sie sahen weiß aus, als wären darin kalte Laternen eingeschaltet worden.
Die Haltung hatte der junge Mann nicht verändert. Wahrscheinlich kam er nicht hoch. Er mußte knien, weil etwas mit seinen Meinen nicht in Ordnung war.
Mir schoß wieder das Bild durch den Kopf, als ich ihn hatte fallen gesehen.
Da war etwas anders gewesen. Nicht zu verstehen…
Dann waren wir da.
Suko berührte ihn als erster. Er umfaßte sein linkes Handgelenk und wartete darauf, daß ich mit dem rechten das gleiche tat. Wir schauten uns kurz an und nickten.
Dann zogen wir ihn hoch!
Hochziehen? Auf die Beine stemmen?
Nein, das klappte nicht. Er ließ sich nicht hochziehen, obwohl wir nicht eben die Schwächsten waren. Es ging nicht, denn er wurde von einer anderen Kraft gehalten.
»Noch mal!« keuchte ich.
»Nein, John!« Suko ließ den Mann los und trat zurück. »Er… er… wird gehalten, John! Da ist etwas, das ihn festhält. Es… verdammt noch mal, es steckt in der Erde und läßt ihn nicht los. Ihm fehlen die Beine, John, ihm fehlen die Beine.«
Ich hatte es gehört, aber ich wollte es nicht glauben. Wie abgeschossen fiel ich auf die Knie, und meine Hände glitten am Körper des jammernden Mannes entlang nach unten.
Ich ertastete die Schultern, die Arme, und da war alles so normal wie immer.
An den Hüften begann es.
Da war der Körper plötzlich weich wie Schlamm oder Teig. Schlamm! Genau das traf zu.
Roy Walkers Körper hatte sich aufgelöst. Zumindest in der unteren Hälfte. Es gab keine Haut mehr, keine Knochen, es war nur eines zurückgeblieben.
Schlamm!
***
Das zu begreifen, fiel mir schwer. Nein, ich konnte es einfach nicht
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