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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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ist der häßliche Tod, den alle Götter erleiden mußten. Ich habe genug von diesem Programm, für das ich alle Verantwortung ablehne. Zieht Palmer Eldrich zur Rechenschaft. Er hat mich belebt. Er ist der Demiurg. Mir ist alles egal, ich will die Tagesschau sehen.«
    Er ging zu einem Fernsehgerät, welches in der Ecke stand, und schaltete es ein. Auf dem Bildschirm erschien der Kopf Palmer Eldrichs.
    »Du entkommst nicht mehr deinen eigenen Welten, Phil. Du entkommst mir nicht mehr. Dies ist eine Aufzeichnung. Wann immer du ein Gerät anstellen wirst, du wirst nur noch Aufzeichnungen zu sehen bekommen. Es gibt keine Direktsendungen mehr. Alles, was die Welt ist, ist aufgezeichnet worden. Es steht geschrieben, steht geschrieben. Es gibt kein Entkommen. Der Tod ist die endlose Wiederholung des Gleichförmigen. Alle Entwicklungen führen in den Schrecken. Du landest immer wieder nur bei dir. Die Welt existiert nicht mehr außer dir.«
    Phil schaltete das Gerät aus.
    »Es gibt kein Entkommen, die Türen sind bewacht, die Leute starren mich an. Was soll ich nur tun?
    Ich werde nie mehr ein einzelner Mensch sein können. In einem Vorwort zu meinem einzigen veröffentlichten Nicht-SF-Roman, ›Confessions of a Crap-Artist‹, steht geschrieben, ist verzeichnet worden: ›… die Idee eines einzelnen Helden, das konnte ich niemals richtig kapieren. Ich habe gefühlt, daß Probleme überindividuell sind, sie gehen uns alle an, es gibt nicht sowas wie ein privates Problem. Es ist nur eine Art von Ignoranz, wenn ich am Morgen aufwache und über den Stuhl falle und mir die Nase breche, und ich bin zerbrochen, und meine Frau hat mich verlassen. Es ist meine Ignoranz, die mich denken läßt, ich wäre ein ganzes Universum und daß dieses Elend mein Elend ist und daß es den Rest der Welt nicht berührt. Wenn ich nur von einem Satelliten herunterschauen könnte, würde ich eine Welt sehen, in der jeder aufsteht und auf ähnliche Weise über einen Stuhl fällt und sich was bricht.‹ [11]
    Ich bin ein Dummy in einem Testgelände, wir befinden uns nach einem Zusammenprall. Das Licht geht aus.«
    Das Licht ging aus und die Zuschauer saßen im Dunkel und versuchten, ihre Verwirrung niederzukämpfen.
    Aha, dachten sie, jetzt ist wohl eine Pause, jetzt wird umgeräumt. The Show must go on. Im Dunkel huschten die uniformierten Gestalten herum und verrückten das Mobiliar. Die Teekanne wurde in eine Ecke geschoben. Die Musik versickerte im Boden. Phil hatte sich mit Palmer Eldrich auf einem breiten Stuhl niedergelassen. Er rauchte eine Zigarette. Palmer Eldrich schwitzte. In einer Wand wurde ein Riß sichtbar, durch den dunkelrotes Licht in den Raum sickerte. The Show must go on.

 
II
     
    Inmitten des Raumes war während der Pause ein Tisch hingestellt worden. Darauf stand eine Schreibmaschine, Papier lag weiß auf der Gummirolle. Neben und um den Tisch herum standen und lagen einige Requisiten, spärlich in der Anordnung, die in den Köpfen der Zuschauer die Illusion eines Raumes erzeugen sollten, der gut eine Schriftstellerwerkstatt abgeben könnte. Ein Bücherregal mit Büchern, eine Teekanne (eine kleinere Ausgabe), eine ausgestopfte flache Katze, eine rückwärtslaufende riesige Uhr und ein Cocktailsessel aus den häßlichen Fünfzigern – das waren einige der Requisiten. Hinzu kam selbstverständlich noch eine kraftvolle Stereoanlage mit enormen Boxen, kamen Bänder und Schallplatten. Aus den Boxen drang leise Musik von Mozart, Linda Ronstadt und das Donaueschingenkonzert von Archie Shepp, das Saxophonsolo von Archie gleich zu Beginn der zweiten Plattenseite. Die Akustik der großen Halle trug die Töne hoch hinauf, ließ sie über die Köpfe der Zuschauer treiben, ließ sie sich verwirrend vermischen und sich auflösen. Die Zuschauer erlebten, wie die Zeit sich in der Musik in Formen und Rhythmen verdichtete und strukturierte.
    »Die Zeit läuft rückwärts, Retrogenese, wir werden immer einfältiger und kindlicher, aber an unserem Verhängnis ändert das wenig.« Diesen Satz hatte Palmer Eldrich gesprochen. Hatte Phil dieses Musikprogramm ausgesucht, zu jener Zeit, da er noch in Kalifornien für einen lokalen Radiosender eine Sendung machte? Oder war sogar das Gerät, aus dem die Musik kam, eines von jenen, die er zu seiner Zeit, als er in einem Musikgeschäft arbeitete, selbst hergestellt hatte? Die Fans würden einmal ein Vermögen für ein solches Gerät bezahlen. Aber da die Zeit beschlossen hatte, rückwärts zu gehen,

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