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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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einen Blick zu. »Ja, Tantchen, natürlich, aber –«
    »Nun«, und sie schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, als wollte sie ihn rauswerfen, »es ist eine fürchterliche, eine entsetzliche Schande. Wenn du die Hölzer nicht unterscheiden kannst – was übrigens jedes Kind kann –, dann wundert es mich nicht, wenn du Schwierigkeiten damit hast, deine Frühstückskost bei Offenbacher unterzubringen.«
    Es folgte ein peinlicher Augenblick, während dessen Charlie rechtschaffene Entrüstung heuchelte, seinem Zorn über die Möbelhändler und ihre billigen Tricks Ausdruck verlieh, und dann erniedrigte er sich und sagte laut ein Gebet auf, wünschte, daß sein Tantchen Hookstratten von Anfang an hier gewesen wäre und dafür gesorgt hätte, daß man ihn nicht übers Ohr haute. Und dann gelobte er, mit der entschlossensten Miene, die aufzusetzen ihm möglich war, daß er die Möbelhändler herzitieren werde, damit sie die Einrichtung austauschten – Wandtäfelung und alles – gegen echtes malaiisches Mahagoni. Sie schniefte zustimmend, und der Augenblick war vorüber. Nachdem sie sich von dem Cousin verabschiedet hatten, sammelten sie ihre Siebensachen auf und traten hinaus in den Regen und unter das helle, auffällige Per-Fo-Schild.
    Und dann geschah es, als er schon glaubte, noch einmal mit heiler Haut davongekommen zu sein, gerade als er den Regenschirm aufspannte und seinen ganzen Mut zusammennahm, um das Thema dringende Bedürfnisse und schleppende Investitionen anzusprechen, daß eine neue und unendlich viel gefährlichere Bedrohung auftauchte. Wie lange hätten sie gebraucht, um ohne Zwischenfall die Droschke zu erreichen – zwanzig, dreißig Sekunden? Was wäre passiert, wenn sie eine halbe Minute länger geblieben wären, um mit Charlies angeblichem Vorarbeiter zu plaudern, oder wenn sie weitere fünf Minuten im Kornlager verbracht und das süße, mehlige Aroma trocknenden Getreides eingesogen hätten? Aber nein, sie mußten genau in diesem Moment gehen, genau in diesem gräßlichen, verhängnisvollen Moment.
    »Charlie!« grölte eine Stimme aus der regennassen Dunkelheit, »Charlie Ossining!«
    Der Regen fiel, die Pfützen wurden größer, Mrs. Hookstratten verkroch sich unter dem Schirm und sah sich erstaunt um. Charlie erstarrte.
    »Ich bin’s, Partner«, rief die Stimme, und dann begann sie um eine Form herum Gestalt anzunehmen, die aus der Düsternis torkelte, eine zerlumpte, seltsam vertraute Gestalt, ein Geschöpf mit eingedelltem Hut und vollgekotztem Überzieher, das dastand, um Charlies schwindenden Hoffnungen den Todesstoß zu versetzen. George Kellogg stand breitbeinig vor ihnen auf dem Bürgersteig, in all seiner ranzigen Pracht.
    »George«, sagte Charlie, nickte kurz und wollte weitergehen. Er verstärkte den Griff um Mrs. Hookstrattens Arm und versuchte sie an dem Hindernis vorbeizuschieben, aber George war schneller. Plötzlich befand er sich neben ihnen unter dem Schirm, den Arm um Charlies Schulter gelegt, und eine giftige Mischung erdiger und menschlicher Gerüche hüllte sie ein wie ein Leichentuch in ihrem kleinen, stinkenden Futteral in der Nacht.
    »Hab’ das Schild gesehen«, lallte George. Und dann streckte er Mrs. Hookstratten das Gesicht entgegen und nuschelte: »Schön guten Abend, Ma’am.«
    »Schau«, sagte Charlie, der versuchte, Georges Arm abzuschütteln, ohne gleichzeitig den Schirm und Mrs. Hookstrattens Arm loszulassen, »ich hab’ jetzt keine Zeit für irgendwelche Dummheiten –«
    »Wer ist dieser schreckliche Mann?« wollte Mrs. Hookstratten wissen. Der Regen trommelte auf den Schirm, triefte als hypnotisierendes, rührseliges Klagelied von den Giebeln der Fabrik.
    »Ich sagte, verschwinde, George«, knurrte Charlie.
    Aber George ließ nicht locker. »Verschwinden? Dummheiten? Schrecklicher Mann?« wiederholte er, auf einmal nüchtern. »Ich bin beleidigt, Charlie. Zutiefst verletzt. Spricht man so mit seinem engsten Geschäftspartner, dem Mann, der seinen guten, teuren Namen diesem, diesem« – er fuchtelte mit den Armen in Richtung des hochhängenden Schildes, das in die Nacht hinter ihnen gestanzt schien –, »diesem Unternehmen geliehen hat?«
    Mrs. Hookstratten erstarrte neben Charlie – er spürte, wie sie sich versteifte, als ihr die Ungeheuerlichkeit der Situation klar wurde. »Was sagt er?« wollte sie wissen. »Wer ist dieser Mann?«
    Charlie kam nicht dazu, ihr zu antworten. George ließ seinen Arm endlich los, seine Züge in Licht

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