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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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stellen zu müssen. Aber Will hatte sich gegen ihn gewandt. Sein eigener Bruder. Er hatte sich gegen ihn gewandt, als wäre er ein Fremder, ein Feind, eine zweiköpfige Schlange, die ihm den Weg versperrte.
    Und die Ironie der Geschichte war, daß Will sich eine der Tugenden zunutze machte, auf die der Doktor besonders stolz war – seine Sparsamkeit –, und sie gegen ihn einsetzte. Denn im letzten Jahr hatte der Doktor Ärzten und Personal des San statt einer Gehaltserhöhung kleine Aktienpakete zukommen lassen; auf diese Weise hatte er Bargeld gespart, und seine Angestellten profitierten von einer Art zwangsweisem Sparguthaben. So weit, so gut. Aber Will – und hier spürte der Doktor, wie sich sein Herz zusammenpreßte wie ein ausgewrungener Schwamm – hatte einen skrupellosen Versicherungsmann aus St. Louis und ein bißchen Kapital aufgetrieben, war heimlich herumgegangen und hatte alle diese Anteile aufgekauft, ungefähr zur Hälfte ihres Werts, bis er die Aktienmehrheit besaß. Kalblütig, gerissen, hinterhältig, wie er war, wartete er, bis sie sich zu einer Aufsichtsratsversammlung trafen, lugte unter dem Rand seiner Bauernmütze hervor, die er zu jeder Gelegenheit trug, und knurrte: »In dieser Firma triffst du keine Entscheidungen mehr, John.«
    Es war zum Verrücktwerden. Zum Krankwerden. Ein echtes, wahres Zeugnis der Käuflichkeit und Verworfenheit der menschlichen Natur – und er gab nicht nur Will die Schuld, sondern auch seinen Ärzten, weil sie verkauft hatten. Aber sie hatten dafür bezahlen müssen, zehnfach. Ein halbes Dutzend hatte bereits gehen müssen, und er hatte eine weitere kleine Gruppe im Auge, der er kündigen würde, sobald er bessere Leute gefunden hätte.
    Ja. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, war da noch die Sache mit dem Sanatorium. John Harvey Kellogg konnte sich nicht rühmen, auch das erfunden zu haben – es gab zirka fünfzig Heil- und Kurbäder allein in den USA, als er 1876 das Western Health Reform Institute übernahm –, aber er konnte sich in vollem und ungeteiltem Umfang rühmen, das dahinsiechende Unternehmen der Adventisten von einem Verlies mit zwanzig Feldbetten und einer Handvoll rheumatischer Patienten in eines der größten und modernsten Krankenhäuser der Welt umgewandelt – und dabei einen netten Gewinn eingestrichen zu haben. Und was war der Dank dafür? Kaum hatte er das bewerkstelligt, kaum hatte er ohne fremde Hilfe das Battle-Creek-System etabliert und Battle Creek, Michigan, zum Gesundheitsmekka der Welt gemacht, als ein Dutzend Nachahmer, unter ihnen Post und die Brüder Phelps, auftauchten und in Konkurrenz mit ihm traten. Posts La Vita Inn war heute nichts weiter als ein Anhängsel an die Fabrik, wo sie alte Rotationsöfen und Malzzuber lagerten, das zumindest erzählten die Spione des Doktors. Und die Brüder Phelps, die auf das verachtenswerte und zynische Prinzip bauten, alles, wofür der Doktor stand, ins Gegenteil zu verkehren – sie servierten Fleisch, Bier, Schnaps; sie hatten sogar ein Raucherzimmer –, waren in weniger als zwei Jahren untergegangen. Aber das Gebäude stand noch immer, gegenüber dem San auf der anderen Straßenseite, und an jedem Tag seines Lebens hatte es der Doktor vor Augen. »Das größte Feldsteingebäude der Welt«, wie sie es anpriesen, hatte sich Charlie Post bei einer Auktion unter den Nagel gerissen und an Bernarr Macfadden verpachtet, einer schwachköpfigen, sich in Pose werfenden, breitschultrigen, hantelstoßenden Karikatur eines Gesundheitsprofis, der es »The Macfadden Health Home« genannt hatte und hinter dieser Fassade seine eigene Frühstückskost, »Strengtho«, vertrieb. Himmel, wie ihn das wurmte.
    Aber es kam noch schlimmer. Den Gesundheitsspekulanten auf den Fersen folgten die Hochstapler, Zigeuner, Wurzelhändler und der ganze Rest. Ein Mann, der sich Frank J. Kellogg nannte – der »Anti-Fett« -Kellogg –, tauchte eines Tages mit einer Geburtsurkunde auf, die die rechtmäßige Führung des Namens belegte, und einer mit Alkohol angereicherten Rezeptur für das Abwaschwasser, das er als »Kellogg’s Safe Fat Reducer« ausgab. Die Anwälte des Doktors beschieden ihm, daß er nichts dagegen unternehmen könne.
    Und jetzt diese Sache mit George. Nicht zufrieden mit den hundert Dollar, die er im November herausgeschunden hatte, war er mit einem neuen Plan aufgetaucht. Früher am Tag – und das war es, was den Doktor deprimierte, das war die Ursache, warum er so am Boden zerstört

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