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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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Krawatte. Auf den Flügen über Darwin nach Sydney galten die neugierigen Blicke anderer Passagiere häufig dem Mann mit der versteinerten Miene, an dessen Handgelenk der Aktenkoffer mit einer Kette angeschlossen war. Phelps nahm sie nie zur Kenntnis, diese Blicke, geschweige denn dass er sie erwidert hätte. In der Öffentlichkeit scheute er Menschenansammlungen, studierte unauffällig Gesichter und war ebenso unauffällig auf der Hut vor jeglicher Form von Bedrohung. Er glich einer Membrane, stets bereit zu reagieren, ein Mann mit einem feinen Gespür für Gefahren. Er stellte sich überall Filmkameras vor, die jede seiner Bewegungen verfolgten und aufzeichneten, dazu das Publikum, das sich gebannt an den Kinosesseln festhielt.
    »Das ist er«, flüsterte Jardine.
    Wyatts Blick erfasste eine nervöse, gehemmt wirkende kleine Gestalt, bekleidet mit Hemd und Hose, Sachen in einem Stil, wie man ihn vor zehn Jahren bevorzugte. Der Mann angelte gerade einen Koffer vom Förderband. »Das reinste Nervenbündel.«
    Jardine nickte. »Wenn der durch den Zoll müsste, würden sich die Beamten geradezu auf ihn stürzen.«
    Jardine und Wyatt warteten mit einem leeren Trolley am Förderband nebenan. Als Phelps Richtung Ausgang ging, ließen sie den Trolley stehen und hefteten sich in sicherer Entfernung an seine Sohlen. Draußen roch es nach Kerosin und den Abgasen wartender Taxis. »Wollen Sie ein Taxi in die Stadt teilen?«, rief jemand, während ein Bus im Leerlauf die Luft mit einem schalen, metallischen Geruch verpestete.
    Phelps machte kehrt und ging zurück in die Abfertigungshalle. Die beiden anderen blieben dran an ihm. Ruhelos wanderten seine Blicke umher, mehrmals blieb er abrupt stehen, um sich hektisch umzudrehen und dann weiterzugehen. »Meine Güte«, stöhnte Wyatt.
    Bei den Schließfächern machte er endlich Halt. Seine Verfolger beobachteten, wie er ein Päckchen aus dem Aktenkoffer nahm, es in ein Schließfach legte und die Tür schloss. Dann hastete er davon.
    Die Herrentoilette im ersten Stock war seine nächste Station. Wyatt betrat die Toilette in dem Moment, als Phelps aus einer Kabine kam. Wyatt stellte sich an ein Urinal, wartete, bis Phelps die Herrentoilette verlassen hatte, und ging dann in die Kabine. Er konnte Phelps’ Angstschweiß buchstäblich riechen. Kurzerhand hob er den Deckel des Wasserkastens, fand den Schlüssel für das Schließfach und steckte ihn in die Tasche. Wieder in der Abfertigungshalle, sah er, wie Phelps mit Jardine im Schlepptau dem Ausgang am anderen Ende zustrebte.
    Für die nächsten Schritte blieben Wyatt genau dreißig Minuten. Er eilte zu den Schließfächern. Erst einmal hieß es, das Schließfach im Auge zu behalten; möglicherweise war er ja nicht der einzige Interessent. Fünf Minuten später stellte er befriedigt fest, dass er der einzige Interessent war. Er öffnete das Schließfach, nahm das Päckchen heraus und legte im Austausch einen Zettel hinein. »Einen schönen Tag noch«, lautete die Botschaft, versehen mit einem Smiley.
    Wyatt schloss die Tür, warf Geld ein, drehte den Schlüssel um und ging zurück zur Toilette, um ihn wieder an seinen Platz zu legen. So weit lief alles wie geschmiert. Indessen war Jardine Phelps auf den Fersen geblieben. Der Ablauf sah vor, dass Phelps sein Honorar aus einem Schließfach am anderen Ende des Terminals abholte. Wyatt und Jardine hatten einige Stunden zuvor einen Kurier des Syndikats bis an den Flughafen verfolgt und beobachtet, wie dieser den Lohn hinterlegte, zu dem Münztelefon vor der Apotheke ging und den Schlüssel dort in einen Schlitz versenkte. Bereits vor Phelps’ Ankunft hatten sie sich diesen Schlüssel unter den Nagel gerissen und nun steckten die zehntausend Dollar Honorar in Jardines Tasche. Der Smiley auf der Nachricht im ersten Schließfach war Wyatts Idee gewesen. Er meinte, die schlechten Neuigkeiten seien so noch schwerer zu verdauen.
    Wyatt traf Jardine außerhalb des Terminals. Der große Mann lehnte an einer Säule und sah aus, als gehöre ihm der Ort. Der sonst so ernste Gesichtsausdruck spiegelte Belustigung wider. Sie wechselten kein Wort miteinander. Erst als sie am Parkplatz angelangt waren und mit Jardines Wagen langsam zum Kassenhäuschen rollten, fragte Wyatt: »Und ... wie war seine Reaktion?«
    »Ein Zerrbild ungläubigen Zorns«, erwiderte Jardine. »Er wurde kalkweiß, stolperte nach draußen und sprang ins erstbeste Taxi.«
    »Was wird er unternehmen?«
    »Er wird sich vor Angst in

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