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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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nach, schließlich konnte man nie wissen ... vielleicht zweigte Max ja das eine oder andere Gramm für sich ab, wenn er, Lester, ihm für einen Moment den Rücken zuwandte. Das Syndikat war besessen von dem Gedanken, abgezockt zu werden. Max wusste das und achtete peinlich genau darauf, dass man ihm nicht den Schwarzen Peter zuschieben konnte. Lester war ihm unangenehm. Max war klein, gepflegt und akkurat. Der Typ des Buchhalters. Lester hingegen liebte es, unrasiert und im Trainingsanzug vor dem Fernseher zu hängen, Bierdosen nach dem Leeren mit der Hand zu zerdrücken und sich dieselben Aufzeichnungen von der Fußballweltmeisterschaft wieder und wieder reinzuziehen. Zudem schien er ein Verfechter der These zu sein, dass Seife den natürlichen Schutzschild der Haut zerstöre. Spätestens am Sonntagabend stand die Luft im Raum und Max war gezwungen, ständig ein parfümiertes Taschentuch griffbereit zu haben. Ab fünf Uhr nachmittags am Donnerstag und bis in den späten Sonntagabend hatte Max Kundenverkehr. Manche kauften für den eigenen Gebrauch, die meisten jedoch waren Kleindealer, die sich für das Geschäft am Wochenende eindecken wollten. Ständig wechselten Kokain und Geld den Besitzer; mit Hilfe seines Laptops führte Max genauestens Buch darüber und vermerkte jede Transaktion in einem verschlüsselten Dokument. Sonntag um Mitternacht gab er neben den Einnahmen auch eine Diskette mit den Daten an Lester weiter, der, nachdem er Max einen Umschlag mit viertausend Dollar überreicht hatte, das Hotel verließ. Max konnte jetzt zu Bett gehen und am Montagmittag kehrte er zurück zu seiner Frau nach Palm Beach. Meistens war er so erschöpft, dass er sich gleich wieder hinlegte.
    An diesem Donnerstagnachmittag hatte Max gerade Waage und Plastiktüten ausgepackt, als es an der Tür klopfte. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Kurz nach vier. Normalerweise tauchte vor fünf kein Kunde auf. Er sah hinüber zu Lester, gab ihm ein Zeichen mit dem Kopf und legte eine Decke über die kompromittierenden Gegenstände. Dann ging er zur Tür.
    Unterdessen hatte Lester mit dem Rücken zur Wand neben der Tür Position bezogen. Max wartete, bis er den Schalldämpfer auf die automatische Waffe gesetzt und seine dicken Finger durch einen Schlagring gequetscht hatte. Als Lester nickte, fragte Max: »Wer ist da?«
    »Ich brauche Crack«, antwortete eine Stimme.
    Oh mein Gott, schoss es Max durch den Kopf. Schließlich beherbergte dieses Hotel auch ganz normale Leute. »Komm später wieder«, sagte er mit leiser, rauer Stimme, die Lippen dicht am Türspalt.
    »Was?«, schrie der Typ hinter der Tür.
    »Komm um fünf wieder«, flüsterte Max.
    »Verdammt, ich versteh kein Wort!«, rief der Typ. »Hier, ich hab Geld. Schau auf den Boden!«
    Max und Lester beobachteten, wie ein Hundertdollarschein unter der Tür durchgeschoben und sofort wieder zurückgezogen wurde. Der Kunde gab keine Ruhe. »Rück ’n bisschen Crack raus, Mann, und ich bin sofort weg.«
    Max linste durch den Spion. Hinter der Tür stand eine ungepflegte Gestalt in einem schwarzen Anorak, darunter sah man ein kariertes Flanellhemd. Der Typ wedelte mit einigen Hundertdollarscheinen, den anderen Arm trug er in der Schlinge. Sein Kopf war fachgerecht bandagiert. Max wusste inzwischen, dass Koks die bevorzugte Droge der Yuppies war und Crack die der sozialen Wracks. So weit passte der Typ ins Bild, doch um ganz sicherzugehen, fragte er: »Von wem kommt der Tipp?«
    »Von Stooge«, antwortete der Mann und nannte damit den Namen eines Dealers aus Bondi Beach, der schon öfter bei Max gekauft hatte.
    Max nickte Lester zu, schloss auf und zog die Kette zurück. Dann ging er in die Mitte des Raumes und rief: »Die Tür ist offen.«
    Vorsichtig betrat der Mann das Zimmer, er machte einen gehetzten, verstörten Eindruck. Sein unsteter Blick galt Lester, der mittlerweile die Waffe zurück in den Bund seiner Trainingshose geschoben hatte und mit verschränkten Armen dastand. Der Kunde ging auf Max zu, als es zum zweiten Mal an der Tür klopfte.
    Lester fuhr herum und wollte nach seiner Automatik greifen. Selbst wenn die komfortable Weite seines Trainingsanzugs ihn nicht behindert hätte, wäre es zu spät gewesen. Zu rasant war die knappe Drehung hinter ihm, zu reflexartig der Tritt gegen das Knie, der Max auf dem weichen Teppich zu Fall brachte. Lester hörte es, aber es war bereits vorbei, der abgewrackte Kunde hatte ihm eine Waffe gegen die Lendenwirbel gedrückt und ein

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