Willküra (German Edition)
Zeigefinger eine Träne von ihrer Wange ab und presste sie sich ans Herz.
»Ich werde dich vermissen«, hauchte Amanus.
»Ich dich auch. Auf bald!«
Der Willkürherrscher drehte sich um und verschwand im gelben Licht.
Jamel war gerührt von dieser Abschiedsszene.
»Ein Kuss zum Abschied?«, drehte er sich zur Schwester des Willkürherrschers herum, doch die hatte sich schon weggedreht und er sah sie nur noch im Hintereingang des Schlosses verschwinden.
»Na dann?!«, nickte Jamel Amanus und Fürchtedich IX. zu.
Das gleißende Gelb wurde zu in den Augen schmerzendem Grün.
Fürchtedich IX. und Amanus lächelten Jamel aufmunternd zu. Der zog seinen Schal noch zurecht, drehte sich dann um, und verschwand ebenfalls in der Blende.
57
Im Willkürherrschaftlichen Informationsfeld im Regierungssaal wurde eine Eilmeldung angekündigt.
Gerolat hielt auf der Treppe an und schaute gespannt auf den Bildschirm runter.
Willkürherrscher zum Herrschertreffen abgereist.
Gerolat wunderte sich, dass der Willkürherrscher in seinem eigenen Informationsdienst solche sprachlichen Fehler durchgehen ließ. Abgereist, das klang nach dicken Koffern packen und langem Weg. ‚Willkürherrscher zum Herrschertreffen durch geblendet worden‘ müsste es doch korrekt heißen. Gerolat schüttelte den Kopf.
Wieso war der Willkürherrscher überhaupt zum Herrschertreffen durch geblendet worden? Er wusste doch eigentlich gar nicht davon, dass es Herrschertreffen gab. Dass das bisher so geblieben war, lag an einer schönen Nebeneinkunft, die Fürchtedich IX. Gerolat jedes Jahr zukommen ließ. Das erkaufte Schweigen hatte bei ihm unterm Strich einfach besser abgeschnitten als das moralische Reden.
Gut, jetzt hatte der Willkürherrscher wohl davon erfahren und sich direkt dazu entschieden, da auch persönlich hinzugehen.
Da ist man mal nur kurz nicht da, dachte Gerolat schon wieder, und alles ist anders.
Er ging weiter die Treppe hoch. Denn er wollte sich anschauen, was mit seinen Räumen passiert war, und auch mal gucken, ob Amanus vielleicht da war.
58
»Vorsicht, Amanus!«, hielt Fürchtedich IX. den Ast von einem Busch zur Seite, damit Amanus sich nicht daran stoßen würde.
Die beiden gingen den heimlichen Weg in die Stadt runter. Er war gefährlicher, da steil und verwachsen, aber deutlich kürzer. Und ein weiter wichtiger Vorteil war, dass keiner aus der Stadtbevölkerung den Weg benutzen konnte, denn unten brauchte man einen Schlüssel für ein altes verrostetes, weißes Eisentor.
Fürchtedich IX. hatte Amanus davon abgehalten, zurück ins Willkürherrschaftliche Schloss zu gehen. Er hatte ihr auf die Schnelle erklärt, dass man der Schwester des Willkürherrschers nicht trauen konnte. Dabei hatte er, wie man sich denken kann, keine große Mühe gehabt, Amanus davon zu überzeugen.
»Entweder, du gehst zurück da rein, und dann musst du auf dich selbst aufpassen, weil ich dir da drin nicht helfen kann, oder wir verstecken dich erst mal in der Stadt, Amanus.«
»Aber was, wenn der Willkürherrscher zurück kommt, dann will ich da sein, wo er nach mir suchen wird!«
»Dann holen wir dich, Amanus«, hatte Fürchtedich IX. versucht, sie zu beruhigen, auch wenn er gewusst hatte, dass das alles nicht so einfach werden würde. »Schau, wo willst du denn im Schloss bleiben, Amanus? In den neuen Gemächern, Amanus? Die so offen sind, dass jeder jederzeit da rein kann, besonders die Schwester des Willkürherrschers, Amanus? Wenn sie dich da überhaupt drin lassen würde, Amanus. Und wenn nicht, wo willst du dann bleiben, Amanus?«
Amanus hatte vor Angst zu zittern begonnen. Ihre Hände schwitzten.
»Ich will nicht schon wieder versteckt leben«, hatte sie leise gewimmert und Fürchtedich IX. hatte sie in die Arme genommen, weil es ihm das Herz zerrissen hatte. »Ich will wieder zum Willkürherrscher«, hatte sie geschluchzt und dabei den Willkürherrschaftlichen Mantel mit ihren Tränen benetzt. Der hätte am liebsten mit geweint, weil er es gar nicht gut ertrug, wenn jemand so zu Unrecht Leid erfahren musste, wie es Amanus soeben tat.
»Entschuldige«, hatte Amanus ihre Tränen mit erstickter Stimme vom Mantel gewischt, der ob solch einer Fürsorge noch weicher geworden war.
»Glaub mir, auch wenn wir uns kaum kennen, ich würde dir das gern ersparen, Amanus«, hatte Fürchtedich IX. mit seiner besten Trösterstimme gesprochen und ihr zum Trost auch noch über ihre Haare gestrichen. »Aber du solltest nicht hier
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