Willst du meine Liebe nicht
sie hatte Angst. Plötzlich aufflackernde Sorge veranlasste sie, sich zurückzulehnen und ihn anzuschauen. Ein Fremder erwiderte ihren Blick. Er hatte zwar Ricos Gesicht und Leidenschaft, aber er war ein Fremder.
“Nein”, protestierte sie und wich vor ihm zurück. “Hör auf, Rico. Bitte. Wir können uns nicht in der einen Minute bis aufs Messer bekämpfen und in der nächsten einander in die Arme sinken.”
“Offenbar können wir es doch. Doch du hast Recht. Es sollte nicht passieren. Wir müssen …” Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. “Ich habe mir oft ausgemalt, wie es wohl sein würde, dir wieder zu begegnen. Leider laufen die Dinge nicht immer nach Plan”, fügte er hinzu.
“Ich habe auch von einem Wiedersehen geträumt”, gestand sie. “Allerdings hatte ich es mir nicht so vorgestellt. Du bist in meinen Gedanken so geblieben wie einst. Ich vergaß, dass Menschen sich ändern.”
“Und du hast in meinen Gedanken als grausame Verräterin weitergelebt. Inzwischen habe ich erkannt, dass mein Bild von dir teilweise falsch war. Aber nur teilweise …”
Plötzlich ertrug Julie die Unterhaltung nicht länger. Seit ihrer Ankunft hatte sie ständig unter Stress gestanden, und dieser forderte nun seinen Tribut. “Ich bin müde”, sagte sie. “Ich möchte in meine Garderobe.”
“Sie ist noch nicht ganz fertig. Du kannst dich hier ausruhen.”
Rico deutete auf die Ledercouch.
Dann ging er zu den Fenstern und schloss die Vorhänge, bis der Raum in sanftes Zwielicht getaucht war. Draußen herrschten Hitze und hektische Betriebsamkeit, doch hier war es ruhig und friedlich.
“Niemand wird dich stören”, versprach er und verließ das Zimmer, bevor sie etwas erwidern konnte.
Julie fühlte sich völlig ausgelaugt. Sie sehnte sich danach, sich hinzulegen und zu entspannen. Das Ledersofa war erstaunlich bequem, und so streckte sie sich darauf aus.
Sekunden später war sie eingeschlafen.
Ihre Träume waren wirr. Sie befand sich in dem gleichen Flugzeug, das sie nach Rom gebracht hatte. Diesmal allerdings hing die Maschine an einer Schnur, an deren anderem Ende Rico zog. Er zog daran, bis sie in seiner Gewalt war - so wie er es geplant hatte.
Seine Lippen berührten ihre, er küsste sie erbarmungslos.
Plötzlich schwanden die Jahre dahin, und er war wieder der Junge, der sie voller Verehrung küsste und flüsterte: “Ich gehöre für immer dir.”
Dann wurde der ohnehin absurde Traum noch bizarrer, denn sie träumte, dass sie die Augen halb öffnete und Rico neben ihr saß und sie eindringlich betrachtete. Er wirkte verletzlich, ratlos.
Er beugte sich zu ihr. “Julie”, sagte er leise. “Julie …”
“Ich habe dich so sehr vermisst”, wisperte sie. “So viele lange Jahre ohne dich. So viele Nächte, in denen ich geweint habe, aber du warst nicht da.”
“Pst.” Er legte ihr einen Finger auf den Mund, als könnte er ihre Worte nicht ertragen. “Auch für mich waren die Nächte lang.”
Sie meinte, seine Lippen auf ihren zu spüren, und gleich darauf verblasste der Traum in der Dunkelheit.
5. KAPITEL
Als Julie erwachte, blieb sie noch eine Weile liegen und überlegte, was Wahrheit und was Phantasie gewesen sein mochte, Sie konnte Ricos Lippen auf ihren beinahe spüren, so leicht wie den Flügelschlag eines Schmetterlings. Aber so war der Zauber von Träumen. Sie wirkten selbst dann täuschend echt, wenn nur ein einsames Herz die Illusion heraufbeschwörte.
Doch wenn sie ihn wieder sah, würde sie es wissen.
Gähnend streckte sie sich, sie fühlte sich wesentlich besser.
Eine attraktive Frau um die fünfzig schaute herein.
“Ich bin Galena, Signor Forzas Sekretärin”, erklärte sie. “Ich bringe Ihnen Kaffee.”
Ihre ruhige Würde wirkte in dieser glitzernden Umgebung so fehl am Platz, dass Julie fragte: “Arbeiten Sie schon lange für Signor Forza?”
“Erst seit zwei Jahren. Vorher war ich für seinen Großvater tätig.”
“Sie kannten Arturo Forza?”
“Si. Viele Jahre lang”, erwiderte Galena stolz. “Er war ein großer Mann.”
Julie wusste, dass manche Menschen von Macht fasziniert waren, gleichgültig, wie rücksichtslos sie ausgeübt wurde.
Offenbar gehörte Galena zu dieser Gruppe.
“Erzählen Sie mir von ihm”, bat sie, weil sie ahnte, dass Arturo einer der Schlüssel zu dem Geheimnis war, das Rico umgab.
Die Sekretärin verließ das Zimmer und kam kurz darauf mit einem großen Buch zurück. “Es gehört mir”, sagte sie. “Ich habe jedes
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