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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.»
    Das Zeremoniell seiner Beerdigung hat er da bereits in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit mit Helmut Kohl abgeklärt. Der erste sozialdemokratische Regierungschef der Bonner Republik wünscht sich einen im Reichstag auszurichtenden Staatsakt mit allen dazugehörenden militärischen Ehren und unter den zu erwartenden Reden auf jeden Fall eine Ansprache seines politischen Ziehsohns, des spanischen Kollegen und Ministerpräsidenten Felipe González.
    Neun Tage nach seinem Tod, der am Nachmittag des 8. Oktober eintritt, betrauern in der alten und neuen Metropole Zehntausende Berliner, die schweigend die Straßen vom Stadtzentrum bis zum Waldfriedhof Zehlendorf säumen, ihren ehemaligen Bürgermeister. Richard von Weizsäcker nennt ihn bewegt einen «Versöhner der Deutschen mit sich selbst», während der Kanzler den Verstorbenen im Beisein des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros-Ghali, als Mann preist, der «über Mauer und Stacheldraht hinweg Brücken gebaut» und dessen Ratschläge er gerade in den Monaten der dramatischen Umbrüche schätzen gelernt habe.
    Willy Brandt, ein allzeit dem Frieden und der Freiheit verpflichteter Patriot, Europäer und Weltbürger – und, wofür sich der neue SPD-Chef Björn Engholm bedankt, fast ein Vierteljahrhundert lang außerordentlicher Parteiführer: Wenn es der jungen, unruhigen Generation inzwischen weitgehend gelungen sei, sich mit ihrem Land zu identifizieren, basiere das nicht zuletzt auf seiner einzigartigen Integrationskraft.

    «Adios amigo»: Nach einem Staatsakt im Berliner Reichstag findet Willy Brandt auf dem Waldfriedhof an der Potsdamer Chaussee seine letzte Ruhe.
    Nach einem leisen «Adios amigo», das ihm der sichtlich berührte Felipe González hinterherruft, tragen Soldaten den mit der Flagge der Bundesrepublik bedeckten Sarg aus dem Reichstag. An der Potsdamer Chaussee, nur wenige hundert Meter von der einstigen Mauer entfernt, findet der etwas «andere Deutsche» in einem schlichten Grab seine letzte Ruhe.

[zur Inhaltsübersicht]
    11.
    «Wie im Schraubstock eingeklemmt» Mensch und Mythos
    Im Frühherbst 1989 erscheinen auf dem Büchermarkt Willy Brandts Memoiren; in Anbetracht der aktuellen politischen Lage kein ganz glücklicher Termin. Schließlich verstreicht in jenen turbulenten Wochen kaum ein Tag, an dem die Schlagzeilen nicht von atemberaubenden Neuigkeiten beherrscht werden, die den großen Epochenbruch ankündigen. Da hat es ein Werk, das sich im Wesentlichen mit vergangenen Ereignissen beschäftigt, naturgemäß schwer, aber der fünfhundert Seiten umfassende Erinnerungsband avanciert auf Anhieb zum Bestseller.
    Von Rücksichtnahmen und Zwängen weitgehend befreit, beleuchtet der inzwischen knapp sechsundsiebzigjährige Ehrenvorsitzende der SPD die wichtigsten Etappen seiner an Höhen und Tiefen reichen Vita – in den meisten Kapiteln ein souverän um leichte Lesbarkeit bemühter Text. «Mitgetan zu haben», merkt er zum Schluss in einem fast schon demonstrativen Understatement an, «dass der deutsche Name, der Begriff des Friedens und die Aussicht auf europäische Freiheit zusammengedacht werden, ist die eigentliche Genugtuung meines Lebens.»
    Auf solche Weise kann sich wohl nur einer äußern, der sich um den ihm angemessenen Platz in der jüngeren Geschichte seines Landes nicht mehr sorgen muss, und diese Gewissheit bestimmt den nahezu durchgehend entspannten Erzählton. Selbst ärgste Widersacher wie Konrad Adenauer oder Franz Josef Strauß, die ihm seiner Biographie wegen einst übel mitspielten, kommen erstaunlich glimpflich davon.
    Umso stärker fallen daher jene Passagen auf, die das Ende seiner kurzen Regierungszeit betreffen. Als läge der Auszug aus dem Bonner Palais Schaumburg nicht schon anderthalb Jahrzehnte hinter ihm, wirkt Brandts Ärger über die damaligen Vorgänge so vehement, als seien sie erst kurz zuvor über ihn hereingebrochen. Unverhohlener denn je sieht er sich als Opfer eines Klüngels von Intriganten, wobei er sich vor allem an dem mittlerweile aus der Öffentlichkeit verschwundenen, an fortschreitender Altersdemenz leidenden Parteifreund Herbert Wehner abarbeitet.
    Den habe er als Menschen kennengelernt, der, «ewig gekränkt» und von «brennendem Ehrgeiz» besessen, «die Figuren und die Politik nach Belieben verschiebt» – für ihn ein undurchschaubarer Genosse, den er später in seinen posthum veröffentlichten «Notizen zum Fall G.» gar

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