Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
sagte der Graf. »Sie heißen so, weil sie im Flug ihren Namen rufen. Sie gehören zu den Nestorpapageien und leben auf Neuseeland. Von ihnen gibt es noch so viele, dass sie nicht als akut bedroht gelten. Aber dieser Bursche hier, der ist eine absolute Rarität.«
Er zeigte auf ein grüngräuliches Federknäuel, das aussah wie eine Mischung aus Papagei und Pinguin.
»Ein Kakapo«, in seiner Stimme schwang Besitzerstolz mit, »auch Eulenpapagei genannt. Von ihnen gibt es nur noch vierzig, höchstens fünfzig auf der Welt. Wobei Welt ein etwas übertriebener Ausdruck ist. Die meisten Kakapos leben auf Codfish Island, einer Insel im Süden von Neuseeland. Es hat mich ein Vermögen gekostet, einen Kakapo zu bekommen.«
»Dadurch, dass Sie zwei Prozent aller Kakapos besitzen, haben Sie das Überleben der Art nicht gerade gefördert«, bemerkte ich.
Der Graf warf mir einen angespannten Blick zu. »Ich weiß, dass ich damit gegen etliche Gesetze verstoßen habe. Auf der anderen Seite sterben jeden Tag ein paar Tier- und Pflanzenarten aus, ohne dass es irgendjemanden kümmert. Und auch die Kakapos werden bald aussterben, falls nicht ein Wunder geschieht.«
»Warum?«
»Weil sie eine der bizarrsten Launen der Evolution sind. Gestatten Sie mir einen kleinen Exkurs?«
Was blieb mir anderes übrig?
»Als die Kontinente auseinander drifteten, entwickelte sich die Tierwelt auf unterschiedliche Weise. Das bekannteste Beispiel ist Australien mit seinen Kängurus und den anderen Arten, die nur dort existieren. Dort, wo große Landmassen der Evolution keine Beschränkung auferlegten, setzten sich die robustesten und intelligentesten Arten durch. In Afrika, zum Beispiel, verdrängten die Affen die Halbaffen, die Lemuren. Lemuren gibt es nur noch auf Madagaskar, wo die Affen nicht hinkamen. Auf Neuseeland lebten fast ausschließlich Vögel, jedenfalls keine Raubtiere. Die brachten erst die europäischen Siedler mit: Hunde, Katzen, Ratten, Wiesel, Opossums. Jahrhunderte mögen für die Menschheit ein langer Zeitraum sein, für die Evolution sind sie nur ein Augenblick. Neuseelands Vögel hatten vergessen, dass es Feinde gibt. Einige von ihnen, wie der Kakapo, waren so dick und fett geworden, dass sie nicht mehr fliegen konnten. Und dummerweise hat der Kakapo keine Ahnung, was er im Fall eines Angriffs machen soll. Er könnte kämpfen – er hat einen harten und kräftigen Schnabel. Er könnte fliehen – er läuft nämlich ziemlich schnell. Aber er tut beides nicht. Wenn er einem Feind, sagen wir einer Katze, begegnet, dann wartet er ab, was die Katze macht. Sie können sich vorstellen, was das Resultat ist.«
Ich konnte es mir vorstellen.
»Und das ist noch nicht alles«, fuhr der Graf fort. »Der Kakapo hat das absurdeste Balzverhalten aller Tierarten, wenn man mal von gewissen Menschen absieht. Kakapos sind Einzelgänger, sie leben kilometerweit getrennt voneinander. Das Kakapo-Männchen baut für die Paarung eine Kuhle und stößt dann einen Lockruf aus, der sehr tief, an der Grenze des Hörbaren liegt. Dieser Ruf reicht zwar sehr weit, ist jedoch schwer zu orten. Hinzu kommt, dass das Weibchen nur fruchtbar ist, wenn bestimmte Früchte reifen, was äußerst selten der Fall ist. So kann das Männchen monatelang rufen, ohne dass ein Weibchen reagiert. Und wenn es fortpflanzungsbereit ist, findet es die Kuhle des Männchens nicht. Mit dem Erfolg, dass ein Weibchen nur alle drei, vier Jahre ein Ei legt, das meist von einem Räuber gefressen wird. Verstehen Sie jetzt, warum der Kakapo mit großer Wahrscheinlichkeit aussterben wird? Ein letztes Tier seiner Art zu besitzen, ein so wunderschönes Tier wie den Kakapo, ist etwas Großartiges, Herr Wilsberg. Nur vergleichbar mit einem echten Tizian oder da Vinci. Kennen Sie den Dodo?«
»Nicht direkt.«
»Der Dodo war eine große Taube, eine sehr große Taube, so schwer wie eine Gans und deshalb ebenfalls nicht in der Lage zu fliegen. Der Dodo lebte ausschließlich auf Mauritius und hatte keine natürlichen Feinde. Sein Fleisch war zäh und bitter, für die Menschen gab es keinen Grund, ihn zu töten. Trotzdem ist der Dodo im Jahr 1680 ausgestorben. Und wissen Sie, warum? Weil sich die holländischen Kolonialherren einen Freizeitspaß daraus machten, Dodos totzuprügeln.«
Vermutlich hätte er noch stundenlang so weiter dozieren können.
»Den Dodo in Ehren, Herr Graf zu Schwelm-Legden – mich interessieren mehr die kriminalistischen Aspekte der Geschichte. Wie groß ist der
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