Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
Innerhalb weniger Tage hatte er rapide abgebaut. Aus dem gegelten Kleinstadt-Cowboy war ein fahriges Nervenbündel geworden. Er hatte Angst. Aber wovor?
Hinter den Bäumen des schmalen Waldgürtels tauchte das von Scheinwerfern angestrahlte Schloss auf. Irreal schön schwebte es über dem aus den Gräften aufsteigenden Dunst, so als könne ihm niemand etwas anhaben. Ein falscher Eindruck, wie ich wusste.
Der Kies der Zufahrt knirschte unter meinen Schuhsohlen. Fast hätte ich das Klirren überhört. Ich begann zu rennen. Mehr aus Pflichtgefühl, denn ich konnte unmöglich sagen, auf welcher Seite des Schlosses die Fensterscheibe zu Bruch gegangen war.
Vor dem Portal lag ein Pappkarton, kleiner als der erste, in dem sich der Oberschenkelknochen befunden hatte.
Vorsichtig klappte ich den Deckel auf. Ein Totenkopf grinste mir entgegen.
Ohne dass ich sein Kommen bemerkt hatte, stand der Graf plötzlich neben mir.
»Ein Kopf«, sagte ich überflüssigerweise.
Er starrte nur grimmig in den Karton.
Und dann trabte Franka über die Zugbrücke. Ein triumphierendes Lächeln glühte auf ihrem Gesicht.
»Ich weiß, wer geschossen hat«, verkündete sie stolz. »Das war ganz einfach. Wieso hast du das nicht schon längst herausgefunden?«
X
Franka und ich saßen auf einer Bank in der Polizeistation von Disselburg und warteten. Ich hatte nicht allzu viel geschlafen und fühlte mich müde und zerschlagen. Franka dagegen war aufgekratzt und munter, sie kostete in vollen Zügen ihren Sieg aus. Dass sie einfach nur ein wenig Glück gehabt hatte, etwas, was mir in den Tagen zuvor nicht vergönnt gewesen war, wollte ich ihr nicht auf die Nase binden. Nach dem Desaster im Supermarkt konnte sie ein kleines Erfolgserlebnis gut vertragen.
Franka war bereits als Zeugin vernommen worden. Nun musste sie noch das Protokoll unterschreiben, das ein Beamter der Station gerade im Zweifingersuchsystem abtippte. Ich blätterte zum dritten Mal die Lokalzeitung durch und suchte verzweifelt nach einem Artikel, den ich noch nicht gelesen und schon wieder vergessen hatte.
Ab und zu schlich Oberkommissar Fahlenbusch über den Flur. Der Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst. Bleich und geschockt starrte er auf die Tür, hinter der seine Tochter und Michael Loddenbaum saßen und von Stürzenbecher und Kommissarin Hülting verhört wurden.
Franka war den beiden gefolgt und hatte beobachtet, wie sie den Karton vor dem Schlossportal abgestellt und anschließend ein Fenster eingeschossen hatten. Die entscheidende Frage jedoch, derentwegen Stürzenbecher und Hülting sich nach Disselburg bemüht hatten, war die nach der Leiche. Wo hatten Ina und Michael das Skelett gefunden? Und wer war der Tote?
Natürlich war auch ich auf die Lösung gespannt. Zwei Stunden saßen die vier jetzt schon zusammen.
Erneut kam Fahlenbusch um die Ecke. Und wieder mied er schuldbewusst meinen Blick.
»Tja, zu dumm, wenn man zu Hause über die Arbeit plaudert«, sagte ich halblaut.
Er tat so, als habe er nichts gehört.
»Und ein bisschen mehr Taschengeld hätten Sie ihr auch zahlen sollen. Dann wäre sie vielleicht nicht auf den Gedanken gekommen, es vom Grafen aufbessern zu lassen.«
»Arschloch!«, presste er zwischen den Lippen hervor und beschleunigte seine Schritte.
»Habt ihr ein Problem?«, fragte Franka.
»Fahlenbusch hat meine Arbeit nicht gerade erleichtert«, teilte ich ihr mit. »Möglicherweise hat er etwas geahnt und seine Gründe gehabt.«
Die Tür öffnete sich und Hauptkommissar Stürzenbecher trat heraus. Auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. Irgendwie fühlte ich mich als Minderheit, umgeben von lauter Siegern.
»Wir haben sie weich gekocht«, sagte Stürzenbecher vertraulich. »Sie haben die Leiche im Schloss gefunden.«
Wir fuhren zusammen mit Stürzenbecher. Kommissarin Hülting folgte mit den Jugendlichen und der halben Disselburger Polizeiwache in weiteren Wagen.
»Sie haben ausgesagt, dass es ihnen gar nicht auf das Geld angekommen sei«, erzählte Stürzenbecher. »Die Geldforderung sei nur ein Test gewesen. Sobald der Graf nachgegeben und gezahlt hätte, wollten sie ihre eigentliche Forderung stellen.«
»Der Graf sollte seine Grundstücke im Dinklager Moor nicht verkaufen«, sagte ich. »Auf diese Weise wollten sie die neue Umgehungsstraße verhindern.«
Stürzenbecher sah mich erstaunt an. »Woher weißt du das?«
»So ganz untätig war ich in der letzten Woche auch nicht.« Das musste mal gesagt
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