Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
entschied mich für ein Blatt, das seinen Lesern die Schicksalsschläge des europäischen Hochadels näher brachte. Nur in Arztpraxen hatte ich die Chance zu erfahren, wen Ernst August von Hannover und Monaco in diesem Monat verprügelt hatte.
Nach einer halben Stunde wurde ich aufgerufen und in das Sprechzimmer des Arztes geleitet. Doktor Thalheim war etwa Mitte dreißig, hatte drahtige Haare und das energische Goldbrillengesicht eines Mannes, der drei Darlehensverträge gleichzeitig abarbeiten muss.
»Sie wollen mit mir über Frau Wiedemann sprechen?« Auch beim Reden verschwendete er keine Zeit.
Ich gab ihm meine Karte und setzte mich. »Ja. Mein Name ist Wilsberg. Ich arbeite als Privatdetektiv für die Familie«, formulierte ich vage.
Er schaute kurz auf die Karte. »Ich kann keine Auskünfte geben. Schon gar nicht einem Privatdetektiv.«
Damit hatte ich gerechnet. »Sie haben den Totenschein von Frau Wiedemann ausgestellt, der sich als falsch erwiesen hat.«
»Ja, bedauerlicherweise.«
»Welchen Grund hatten Sie, von einem Herzversagen auszugehen?«
»Dazu kann ich nichts sagen.«
»Herr Thalheim«, sagte ich gespreizt, »Sie sind als Arzt Teil des Justizsystems. Sie tragen Verantwortung. Es kann einer Gesellschaft nicht gleichgültig sein, ob jemand ermordet wurde oder eines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Das ist mir bewusst.«
»Und trotzdem haben Sie nicht das Geringste unternommen, Jessica Wiedemanns Tod aufzuklären. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, eine Obduktion zu empfehlen.«
Meine Hoffnung, seinen professionellen Gleichmut anzukratzen, schlug fehl.
»Herr Wilsberg, ich habe Sie nur empfangen, weil ich Ihnen klarmachen wollte, dass jedes weitere Gespräch sinnlos ist. Tricks und Provokationen nützen Ihnen gar nichts. Sie werden von mir kein Wort über den Fall Wiedemann hören. Und nun entschuldigen Sie mich bitte! Ich habe noch einige Hausbesuche zu erledigen.«
Ich stand auf. »Stellen Sie oft Totenscheine aus?«
»Es kommt vor.«
»Und wie war das bei Helga Dickmöller?«
Für einen Moment entgleisten seine Gesichtszüge. Dann fand er seine Beherrschung wieder. »Was ist mit Helga Dickmöller?«
»Ich frage mich, ob Sie sich bei ihr auch geirrt haben. Auf Wiedersehen, Herr Thalheim.«
Die Arzthelferin, die mich hereingelassen hatte, folgte mir mit einem Schlüsselbund zum Ausgang.
»Kannten Sie Jessica Wiedemann gut?«, fragte ich leise.
Sie schaute zur geöffneten Tür des Sprechzimmers und schüttelte den Kopf.
Im Kreuzviertel kaufte ich ein Brot vom Biobäcker sowie französischen Rohmilchkäse, italienische Salami und zehn Joghurts in dem kleinen, feinen, aber teuren Feinkostladen an der Kreuzkirche. Mit Rainer Wiedemann hatte das Detektivbüro Wilsberg & Partner den zweiten zahlungskräftigen Klienten, es gab keinen Grund mehr, die Gebrüder Aldi noch reicher zu machen, als sie ohnehin schon waren.
Dann legte ich mich in ein heißes Ölbad. In der Badewanne kamen mir oft die besten Gedanken. Diesmal klappte es nicht. Nach einer halben Stunde stieg ich aus der Wanne, cremte mich ein, machte mir ein paar Brote und setzte mich vor den Fernseher. Die neuesten Kriege und Eisenbahnkatastrophen rauschten an mir vorbei. Danach wurde eine Bundesligamannschaft von einer spanischen Mannschaft im UEFA-Cup abgefertigt. Auch das regte mich nicht sonderlich auf, denn ich war nur halb bei der Sache. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich an diesem Tag etwas Wichtiges gehört, aber die Bedeutung nicht verstanden hatte. Ich ging noch mal alle Leute durch, mit denen ich gesprochen hatte: Holger Biereichel, Pfarrer Brockhage, Susanne Klotz, Hauptkommissar Stürzenbecher, Rainer Wiedemann, Doktor Thalheim. Ziemlich viele, ich hatte wirklich was getan für mein Geld. Allerdings fiel mir nicht ein, wonach ich suchte. Es war zum Verzweifeln.
Die Spanier schossen das 7:1. Das Telefon klingelte.
»Ich bin's«, flüsterte Franka.
»Was ist los?«
»Ich bin im Pferdestall. Ich glaube, ich habe was gefunden.«
»Und?«
»Es ist ... Ich muss Schluss machen, da kommt jemand.«
Das Gespräch wurde beendet. Ich blieb unschlüssig stehen. Frankas Flüstern gefiel mir ganz und gar nicht. Ich überlegte, ob ich die Polizei anrufen sollte. Andererseits hatte sie nichts davon gesagt, dass sie in Gefahr sei. Womöglich würde ich mit einem Polizeieinsatz ihre Tarnung auffliegen lassen. Aber einfach herumsitzen und auf den nächsten Anruf warten konnte ich auch nicht. Ich schnappte mir meine
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