Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
Klingeln meldete sich meine eigene Stimme, die mir erzählte, dass ich nicht da sei, aber eine Nachricht auf Band hinterlassen könne. »Sarah«, sagte ich, »wenn du in der Nähe bist, nimm bitte den Hörer ab! Ich bin bei Imke. Wir sind beide nicht böse auf dich. Wir möchten nur wissen, ob es dir gut geht.«
Keine Antwort.
»Ich fahre trotzdem gleich nach Hause«, verkündete ich. »Möglicherweise läuft sie in Münster herum und kommt irgendwann am Abend zu mir. Aber vorher möchte ich noch etwas mit dir besprechen.« Ich machte ein Pause. »Unter vier Augen.«
»Was soll das heißen?«, fuhr Carl auf. »Darf ich mir etwa keine Sorgen machen?«
»Natürlich darfst du das«, entgegnete ich. »Allerdings ist Sarah Imkes und meine Tochter. Deshalb wirst du es verschmerzen, wenn ich dich nicht dabeihaben will.«
»Das ist ja unverschämt«, maulte Carl. »Was sagst du denn dazu?« Die Frage galt Imke.
»Lass mich ein paar Minuten mit Georg allein«, sagte Imke matt.
Carl stand polternd auf. »Na schön, wenn das so ist.« Er ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
»Männer!« Imke rieb sich die Schläfen. »Warum müsst ihr euch bloß immer aufführen wie Neandertaler?«
»Ich traue der These ja nicht, dass die Neandertaler gänzlich ausgestorben sind. Wahrscheinlich hat sich das eine oder andere Neandertaler-Männchen ein Homo-sapiens-Weibchen geschnappt. Wenn man sich Neandertaler in blauen Anzügen und weißen Hemden vorstellt ...«
»Hör auf!«, schrie Imke. »Sarah ist weg, ich bekomme eine Migräne und du redest über Neandertaler.«
»Tut mir Leid.«
Carl riss die Tür auf. »Was ist los?«
»Alles in Ordnung, Schatz!«, rief Imke lächelnd.
Carl verschwand wieder.
»Also gut«, sagte ich. »Die Frage ist, warum Sarah weggelaufen ist. Da fallen mir zwei Möglichkeiten ein: Probleme in der Schule oder Probleme in der Familie.«
»In der Schule hat sie keine Probleme. Sie ist in allen Fächern gut, mit Ausnahme von Mathe, da steht sie zwischen Vier und Fünf. Aber die Lehrerin hat mir gesagt, dass sie ihr wegen der guten mündlichen Beteiligung eine Vier geben wird.«
»Ihre Versetzung aufs Gymnasium ist demnach nicht gefährdet?«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Und was ist mit der anderen Möglichkeit? Wie kommt Sarah mit Carl zurecht?«
»Na ja«, sagte Imke nachdenklich. »Du bist immer noch der Größte für sie, das ist keine Frage. Sarah und Carl haben sich arrangiert. Sarah respektiert ihn und er bemüht sich wirklich um sie.«
»Geh jetzt nicht in die Luft!«, warnte ich. »Könnte es sein, dass er sich zu sehr um sie bemüht?«
»Du meinst ...«
»Ja, das meine ich. Sarah ist ein hübsches Mädchen.«
»Nein«, wehrte Imke ab. »Das würde ich merken. Und wenn ich auch nur den leisesten Verdacht hätte, würde ich der Sache auf den Grund gehen. Du kannst mir glauben, dass ich keinen Moment zögern würde, ihn anzuzeigen und aus dem Haus zu werfen.«
Ich lehnte mich zurück. »Dann bleibt nur das Verhältnis zwischen Sarah und dir.«
Imke dachte nach. »Wir streiten uns manchmal, klar. Sarah ist zehn und hat einen eigenen Kopf. Du kannst sie verwöhnen, wenn sie am Wochenende bei dir ist, aber ich muss sie gelegentlich daran erinnern, dass sie auch Pflichten hat. Andererseits habe ich nicht das Gefühl, dass es zwischen uns ein Missverständnis gibt oder dass ich gar den Kontakt zu ihr verliere.«
»Und doch muss es irgendeinen Grund geben.«
»Hoffentlich können wir sie bald selbst fragen.«
»Ja.« Ich stand auf. »Ich fahre dann mal. Sag bitte Oberkommissar Roggenkemper Bescheid, damit er die Polizei in Münster informiert!«
Ich gab Imke zum Abschied einen Kuss auf die Wange. »Es wird schon gut ausgehen. Davon bin ich fest überzeugt.«
IX
Als ich die Tür zu meiner Wohnung öffnete, hörte ich Geräusche aus dem Wohnzimmer. Mein Herz schlug schneller. Die Geräusche wurden von Menschen verursacht, die durcheinander redeten und sich anschrien. Das konnte nur bedeuten, dass im Fernsehen eine Talkshow lief. Und da es Franka schon vor längerer Zeit aufgegeben hatte, in meinem Wohnzimmer herumzuhängen, blieb nur ein Mensch, der den Fernseher eingeschaltet haben konnte.
Sarah lag auf der Couch und winkte mir lässig zu. »Hallo, Papa!«
Ich gab ihr einen Kuss. »Was ist passiert?«
»Nichts ist passiert«, sagte sie betont cool. In ihrer weizengelben schlabbrigen Hose und dem blauen T-Shirt sah sie sehr entspannt aus.
»Wir haben uns Sorgen um dich
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