Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
erinnerte mich, dass sogar Heinrich Böll öffentlich als Sympathisant der RAF bezichtigt worden war.
»Sie halten das für nicht so wichtig?«, fragte Marie.
»Nun, juristisch ist das sicher ohne Belang. Manche Spitzel sind heute sogar stolz darauf, so staatstragend gewesen zu sein. Anderen wiederum wäre es peinlich, wenn bekannt würde, dass sie für einen Geheimdienst gearbeitet haben. Die Frage ist, zu welcher Sorte Varnholt gehört. Haben Sie eine Ahnung, von wem Ihr Mann das Material bekommen hat?«
»Nein, das steht nirgendwo. Aber es muss ein Insider sein, jemand, der für diese Behörde arbeitet oder gearbeitet hat.«
»Eines steht jedenfalls fest«, sagte ich. »Varnholt war nicht der Ninja, der Sie angesprungen hat. Der Typ, den ich durchs Wohnzimmer habe rennen sehen, muss erheblich jünger sein.«
»Er kann jemanden beauftragt haben«, schlug Marie vor.
»Das wäre möglich«, räumte ich ein.
Sie war enttäuscht. »Sie können also nichts damit anfangen?«
»Das will ich damit nicht sagen. Es kann nicht schaden, bei Varnholt ein bisschen auf den Busch zu klopfen.« Ich lächelte Marie aufmunternd an. »Und wissen Sie was? Ich habe sogar Lust, es gleich zu tun.«
Varnholts Name stand im Telefonbuch.
»Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, mich am Samstagmittag anzurufen«, knurrte der Professor, nachdem ihn seine Frau ans Telefon geholt hatte. »Ich kenne Sie nämlich nicht.«
»Dafür kenne ich Sie. Wir sind uns neulich im Institut über den Weg gelaufen.«
»Wie war noch mal Ihr Name?«, fragte Varnholt.
»Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv und würde mich gerne mit Ihnen über Professor Kaiser unterhalten.«
»Alles, was ich dazu zu sagen habe, ist der Polizei bekannt. Ich denke nicht daran, mit einem Privatdetektiv zu reden. Einen schönen Tag noch, Herr ...«
»Verfassungsschutz«, sagte ich schnell, bevor er auflegen konnte, »klingelt da was bei Ihnen?«
»Wie bitte?«
»Durch Zufall sind mir einige Unterlagen über Ihre Tätigkeit als V-Mann des Verfassungsschutzes in die Hände gespielt worden. Zugegeben, das meiste ist Schnee von gestern. Aber gibt es nicht auch heute noch linke Studentengruppen, die so etwas gerne auf ihren Flugblättern verbreiten?«
Ich hörte Varnholt atmen.
»Also gut«, sagte er nach der Bedenkpause, »ich bin in einer Stunde im Institut. Sie kennen sich ja aus.«
X
»Jugendsünden«, sagte Professor Varnholt. »Ich hielt es damals für meine Pflicht, den staatlichen Organen zu helfen. Wir – und damit meine ich die demokratisch Gesinnten, die den linken Krawallmarxismus an den Hochschulen nicht mitmachten – glaubten, dass sich der Staat in einer ernsten Krise befinden würde, dass die linken Systemveränderer die Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung zerstören könnten, dass wir die freiheitliche Grundordnung verteidigen müssten. Im Nachhinein sieht natürlich manches anders aus. Die Utopie des Sozialismus ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Der Niedergang des so genannten realen Sozialismus hat die letzten Zweifel beseitigt. Doch auch aus heutiger Sicht habe ich mir nichts vorzuwerfen. Wer konnte schon ahnen, dass es sich um eine vorübergehende, rein universitäre Erscheinung handeln würde? Dass die Steinewerfer von einst heute hohe politische Ämter bekleiden würden? Übrigens ebenso wie viele von denen, die, wie ich, mit dem Staatsschutz zusammengearbeitet haben. Ich war da wirklich kein Einzelkämpfer.«
Professor Varnholt hatte sich hinter seinem Schreibtisch verschanzt. Sein Jackett hing auf der Stuhllehne und die Krawatte baumelte locker am Hals. Allerdings wirkte sein Bemühen, gelassen zu erscheinen, etwas gekünstelt, denn der nicht nur von der Sonne gerötete Kopf und der intensive Körpergeruch, der sich im Raum ausbreitete, zeugten von etwas anderem. Hinter dem professoralen Gehabe verbarg sich nackte Angst.
»Ich stehe zu dem, was ich getan habe«, dozierte Varnholt weiter. »Ich habe in einer historisch zugespitzten Situation staatsbürgerliches Engagement bewiesen, auch wenn manche das anders sehen.«
»Zum Beispiel die, die Sie bespitzelt haben«, sagte ich. »Die konnten ihren Lehrerberuf an den Nagel hängen, für den sie lange studiert hatten.«
»Na und? Niemand hat sie gezwungen, von Klassenkampf und der Diktatur des Proletariats zu faseln oder die Ermordung von politischen Gegnern für legitim zu erklären. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.«
»Waren das nicht auch Jugendsünden?«, fragte
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