Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
Als ich an der Reihe war, legte ich eine Packung Salbeibonbons auf das Förderband. »Frau Sanddorn?«
Sie schaute auf, um ihre Augen lagen dunkle Schatten. Sie trug kein Make-up, nur grellroten Lippenstift, mit dem sie die schmalen Lippen zu kaschieren versuchte.
»Ich möchte mit Ihnen über Felizia reden.«
Ihre Lippen wurden noch schmaler. Etwas zwischen Verwunderung und Panik blitzte in den Augen auf.
»Geht’s denn hier mal weiter?«, knurrte hinter mir ein Penner mit Bierflaschen im Arm.
»Ich habe um halb sieben Feierabend«, sagte Sanddorn und scannte die Bonbonpackung.
Sie kam allein aus dem Personaleingang, eine große Umhängetasche oder Skepsis machten ihre Schritte schwer. Ich winkte ihr zu.
Sie blieb einen Meter vor mir stehen. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv. Ihr Exmann hat mich beauftragt, Felizia zu suchen.«
»Warum?«
»Er macht sich Sorgen, sie könnte in Schwierigkeiten stecken.«
»Felizia geht es gut«, sagte Sanddorn mit monotoner Stimme. »Sie hat mich gestern Abend noch angerufen.«
»Von wo?«
»Das weiß ich nicht.«
Ein älterer Mann, vermutlich der Pächter des Supermarkts, schloss die Tür ab und schaute sich zu uns um, während er zu seinem Wagen ging.
»Haben Sie nicht gefragt?«
»Nein.«
»Alles in Ordnung, Frau Sanddorn?« Der Pächter mit besorgtem Ton.
»Ja«, rief Sanddorn zurück. Und leise zu mir: »Auf einen Kaffee, okay? Dann lassen Sie mich in Ruhe.«
Wahrscheinlich gab es ruhigere Kneipen in Warendorf als die Filiale der Bistrokette, deren Markenzeichen laute Musik und unter der Decke aufgehängte Fernseher mit tonlos laufendem Videoclip-Programm waren. Aber ich hielt Henrike Sanddorn für clever genug, das Lokal mit Bedacht gewählt zu haben. Die Musik war zwar nervig, schützte uns allerdings auch vor unliebsamen Lauschern.
Als die Kellnerin zwei Tassen Milchkaffee vor uns abgestellt hatte, sagte Sanddorn: »Fahle hat sich nie um Felizia gekümmert. Wieso die plötzliche Fürsorge?«
»Felizia beschäftigt sich mit der RAF. Ihr Exmann denkt, dass das gefährlich für sie werden könnte.«
»Wann haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Zuletzt gestern Abend.«
»War er hier?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Sie rührte in ihrem Milchkaffee. »Die einzige Gefahr für Felizia ist dieser Mann.« Zum ersten Mal zeigte sie eine Emotion, puren Hass. »Wenn er sich von ihr fernhält, wird ihr nichts geschehen.«
»Kennen Sie seine Vergangenheit?«
Sie nickte. »Gut genug, um ihn dafür zu verachten. Er hat uns beide auf dem Gewissen, Felizia und mich. Aber es ist auch meine Schuld. Ich war ja so naiv, damals.« Sie schaute durch mich hindurch. »Er kam dauernd mit Bündeln von Geldscheinen an, angeblich von irgendwelchen Autodeals, die er gemacht haben wollte. Ich habe mich zwar gewundert, doch allzu genau wollte ich es gar nicht wissen. Wir führten ein prächtiges Leben, Reisen, teure Autos, eine gute Wohnung. Ich musste nicht arbeiten. Nach und nach wurden seine sogenannten Geschäftsreisen immer länger. Und irgendwann kam er gar nicht mehr zurück, nur ein Anruf, ich solle nicht zur Polizei gehen. Ich wartete und hoffte und tröstete Felizia mit erfundenen Geschichten. Eines Nachts tauchte er tatsächlich auf, wieder mit einem Bündel Geldscheinen. Er hat Felizia aufgeweckt und sie vollgetextet. Danach war das Kind drei Tage von der Rolle. Jeden Abend hat sie eine Kerze ins Fenster gestellt und vor dem Einschlafen musste ich ihr versprechen, sie aufzuwecken, falls ihr Papa in der Nacht kommen würde. Drei Mal hat er uns noch die unendliche Güte eines plötzlichen Besuches geschenkt. Dann war endgültig Funkstille. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass er mich mit Felizia allein gelassen hatte. Als das Geld aufgebraucht war, musste ich mir eine billigere Wohnung und einen Job suchen. Nicht mal auf Unterhalt konnte ich ihn verklagen. Sollte ich dem Jugendamt sagen, dass mein Mann Terrorist ist und wir von geraubtem Geld gelebt hatten?«
»Wie haben Sie sich denn von ihm scheiden lassen?«
»Gar nicht. Auf dem Papier sind wir noch immer verheiratet.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Dieser Mann ist die Pest, Herr Wilsberg. Manchmal wünsche ich mir, sie würden ihn erschießen. Dann wäre ich wenigstens Witwe.«
»Trotzdem sind seine Befürchtungen ernst zu nehmen«, sagte ich. »Ich habe in New York mit einer Frau gesprochen …«
»Mit Regina?«
»Sie kennen sie?«
»Feli hat den Namen mal
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