Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
der Mann, der Ihnen im Handumdrehen ein neues Gesicht macht. Plastische Chirurgie nennt man das. Und neue Fingerabdrücke. Überhaupt alles neu. Wir bedienen uns in unserm Unternehmen immer der neuesten Methoden.»
Rogers stieß einen Pfiff aus.
«Also, wie steht’s?» fragte Jukes, indem er seinen Bekannten über sein Glas hinweg lauernd ansah.
«Wissen Sie – Sie haben mir soviel erzählt – bin ich überhaupt noch meines Lebens sicher, wenn ich nein sage?»
«Natürlich – wenn Sie sich benehmen und uns keine Scherereien machen.»
«Hm. Verstehe. Und wenn ich ja sage?»
«Dann sind Sie im Handumdrehen ein reicher Mann mit soviel Geld in der Tasche, daß Sie ein Leben führen können wie ein Gentleman. Und ohne was dafür zu tun, außer uns zu sagen, was Sie so über die Häuser wissen, in denen Sie gedient haben. Das ist im Schlaf verdientes Geld, solange Sie sich nur an die Regeln der Gesellschaft halten.»
Rogers schwieg und überlegte.
«Ich mache mit», sagte er endlich.
«Bravo! Miss – noch einmal dasselbe. Das muß begossen werden, Rogers! Hab doch sofort gewußt, daß Sie ein rechter Kerl sind, gleich als ich Sie das erste Mal sah. Also, auf den Reichtum im Schlaf! Und hüten Sie sich vor Nummer Eins. Apropos Nummer Eins. Am besten stellen Sie sich ihm gleich noch heute abend vor. Was du heute kannst besorgen –»
«Recht haben Sie. Wo muß ich dafür hin? Hierher?»
«Nichts da. Diese kleine Kneipe ist für uns gestorben. Schade, sie ist so hübsch gemütlich, aber da kann man nichts machen. Also, Sie tun folgendes: Um Punkt zehn gehen Sie über die Lambeth Bridge in Richtung Norden» (dieser Wink, daß seine Adresse schon bekannt war, versetzte Rogers einen gelinden Schrecken), «dann sehen Sie dort ein gelbes Taxi stehen, dessen Fahrer etwas an seinem Motor macht. Sie fragen ihn: ‹Ist Ihr Wagen einsatzbereit?› Darauf antwortet er: ‹Kommt drauf an, wohin Sie wollen.› Dann sagen Sie: ‹Bringen Sie mich nach Nummer Eins, London.› Es gibt übrigens einen Laden, der so heißt, aber dahin bringt er Sie nicht. Sie haben keine Ahnung, wohin er Sie wirklich fährt, denn die Taxifenster sind zugehängt, aber das darf Sie nicht stören. Beim ersten Besuch ist das Vorschrift. Später, wenn Sie richtig dazugehören, erfahren Sie den Namen des Hauses. Und wenn Sie da sind, tun Sie, was man Ihnen sagt, und antworten Sie immer nur wahrheitsgemäß, sonst fährt Nummer Eins nämlich mit Ihnen Schlitten. Verstanden?»
«Verstanden.»
«Ist dann alles klar? Und keine Angst?»
«Natürlich hab ich keine Angst.»
«Gut so! Na, dann ziehen wir jetzt besser mal los. Und ich sage Ihnen gleich Lebwohl, weil wir uns nie mehr wiedersehen. Leben Sie wohl – und viel Glück!»
«Leben Sie wohl.»
Sie traten durch die Schwingtür hinaus auf die düstere, schmutzige Straße.
Die beiden Jahre, die dem Beitritt des ehemaligen Hausdieners Rogers zu einer Diebesbande folgten, waren von einer Serie ebenso überraschender wie erfolgreicher Besuche in Häusern feiner Leute gekennzeichnet. Aufsehen erregten unter anderem der Diebstahl der prächtigen Diamantentiara der Herzoginwitwe von Denver; der Einbruch in der ehemaligen Wohnung des verstorbenen Lord Peter Wimsey, bei dem Silber- und Goldwaren im Wert von 7000 Pfund abhanden kamen; der Einbruch im Landhaus des Millionärs Theodore Winthrop – wobei dieser wohlhabende Herr ganz nebenbei als Erpresser der großen Gesellschaft entlarvt wurde, was in Mayfair einen Skandal erster Güte auslöste; sowie der Raub der berühmten achtreihigen Perlenkette vom Hals der Marquise von Dinglewood, als sie gerade im Covent Garden der Schmuckarie aus Margarethe lauschte. Zwar entpuppten sich die Perlen als Imitationen, weil die edle Dame das Originalkollier unter für den Marquis sehr peinlichen Umständen versetzt hatte, doch der Coup war deswegen nicht minder sensationell.
An einem Samstagnachmittag im Januar saß Rogers in seinem Zimmer in Lambeth, als sein Ohr plötzlich ein leises Geräusch an der Haustür wahrnahm. Das Geräusch war noch nicht richtig verhallt, da war Rogers schon mit einem Satz bei der Tür und riß sie auf. Die Straße war menschenleer. Und dennoch sah er auf dem Rückweg in sein Zimmer einen Briefumschlag auf dem Hutständer liegen, der kurz und bündig an «Nr. 21» adressiert war. Da er inzwischen jedoch die etwas dramatischen Methoden der Gesellschaft bei der Postzustellung schon kannte, zuckte er nur mit den Schultern und öffnete den
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