Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
gerufen und erinnerte sich genau, daß Mr. Finch sie vor ungefähr neun Monaten auf «so was wie einen kleinen Riß» an der Unterseite der Haupttreppe aufmerksam gemacht und einen Handwerker bestellt hatte, um das auszubessern. Gewiß könne sie ihnen die Stelle ganz genau zeigen. Die Gipsfüllung könne man noch deutlich sehen.
«Hurra!» rief Lord Peter. «Bunter – einen Meißel oder dergleichen. Onkel Meleager, Onkel Meleager, jetzt haben wir dich! Miss Marryat, ich finde, es sollte Ihre Hand sein, die den Streich führt. Es ist schließlich Ihre Treppe – das heißt, wenn wir das Testament finden; wenn hier also jemand was kaputtmacht, dann bitte Sie.»
Atemlos standen sie drumherum und schauten zu, wie die Gipskrümel herausfielen und ein breiter Spalt im Mauerwerk sichtbar wurde. Hannah Marryat ließ Hammer und Meißel fallen und griff in die Ritze.
«Da ist was», keuchte sie. «Hebt mich mal hoch, ich komme nicht dran. O ja, da ist was! Das ist es! Das ist es !» Sie zog die Hand heraus, in der sich ein länglicher versiegelter Umschlag befand. Er trug die Aufschrift:
«Meleager Finchs ENDGÜLTIG Letzter Wille»
Miss Marryat fiel mit einem Freudenjauchzer Lord Peter um den Hals.
Mary führte einen Freudentanz auf. «Das muß ich aller Welt sagen!»
«Kommt mit und sagt’s meiner Mutter!» rief Miss Marryat.
Bunter griff ein.
«Eure Lordschaft mögen verzeihen», sagte er bestimmt, «aber Eurer Lordschaft Gesicht ist ganz schwarz von Holzkohle.»
«Schwarz, aber gar lieblich», sagte Lord Peter. «Aber ich beuge mich Ihrer Zurechtweisung. Ach, was waren wir doch alle klug! Wie herrlich das alles ist! Wie reich Sie sein werden! Wie spät es ist und wie hungrig ich bin! Ja, Bunter, ich wasche mir das Gesicht. Kann ich noch irgend etwas für irgend jemanden tun, solange ich in der Stimmung dazu bin?»
«Wenn Eure Lordschaft so gütig wären», sagte Bunter, indem er einen Zettel aus der Tasche zog, «wäre ich Eurer Lordschaft sehr dankbar für einen südafrikanischen Vierbeiner mit sechs Buchstaben, der mit Q anfängt.»
4
Der phantastische Greuel mit der Katze im Sack
Die große Straße nach Norden wand sich als ein flaches, stahlgraues Band durch die Landschaft. Auf ihr flitzten, mit Sonne und Wind im Rücken, zwei schwarze Pünktchen dahin. Der Bauernknecht mit seinem Heuwagen sah in ihnen nur wieder «zwei von diesen vermaledeiten Motorradfahrern», die da kurz hintereinander an ihm vorbeidonnerten. Ein Stückchen weiter mußte ein Familienvater, der seinen Zweisitzer behutsam durch die Gegend lenkte, wehmütig lächeln ob des scharfen Knatterns der Norton mit ihren obengesteuerten Ventilen, gefolgt vom katzenhaft hohen Kreischen eines zornigen Scott FlyingSquirrel. In seinen Junggesellentagen hatte auch er an dieser immerwährenden Fehde teilgehabt. Mit einem bedauernden Seufzer sah er den beiden Rennmaschinen nach, wie sie, rasch kleiner werdend, in Richtung Norden entschwanden.
An der ekligen und unerwarteten S-Kurve über die Brücke oberhalb von Hatfield drehte der Norton-Fahrer sich hochgemut nach seinem Verfolger um und winkte trotzig zurück. In dieser Sekunde tauchte vor ihm auf der Brücke ein riesiges Ungetüm in Gestalt eines vollbesetzten Omnibusses auf. Im letzten Moment umkurvte er schlingernd das Hindernis, und die Scott konnte mit einem tollkühnen Zickzackmanöver, bei dem der linke und rechte Fußraster abwechselnd den Asphalt streiften, ein paar triumphale Meter aufholen. Die Norton machte mit Vollgas einen Satz nach vorn. Eine Gruppe Kinder rannte, von Panik erfaßt, plötzlich kopflos über die Straße. Die Scott schlängelte sich wild schleudernd zwischen ihnen hindurch. Dann war die Straße wieder frei, und die Jagd begann von vorn.
Es ist nicht bekannt, warum Automobilisten, die so gern das Glück der freien Straße besingen, an jedem Wochenende soviel Benzin verfahren, um sich mühsam nach Southend, Brighton und Margate zu quälen, einer im Auspuffgestank des andern, eine Hand an der Hupe, einen Fuß auf dem Bremspedal, mit fast aus den Höhlen quellenden Augen ängstlich nach Polizisten spähend und jederzeit mit unübersichtlichen Kurven, Kuppen und selbstmörderischen Kreuzungen rechnend. In stummer Verbissenheit fahren sie dahin und hassen einander. Sie kommen mit zerfetzten Nerven an und kämpfen um Parkplätze. Dann fahren sie zurück, geblendet von den Scheinwerfern der Neuankömmlinge, die sie noch mehr hassen als ihresgleichen. Und gleichzeitig windet
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