Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Sie wohl Wilvercombe verlassen«, sagte Harriet zu Mrs. Weldon. »Der Ort wird für Sie mit traurigen Erinnerungen verbunden bleiben.«
»O nein, meine Liebe, das werde ich nicht. Ich bleibe hier, bis Pauls Andenken von diesem Schatten befreit ist. Ich weiß genau, daß er von einer sowjetischen Bande ermordet wurde, und es ist einfach eine Schande, daß die Polizei so etwas hier zuläßt.«
»Ich wollte, Sie könnten meine Mutter dazu bringen, von hier abzureisen«, sagte Henry. »Es tut ihrer Gesundheit nicht gut, noch länger hierzubleiben. Ich nehme an, daß Sie selbst bald abreisen werden?«
»Wahrscheinlich.«
Es schien überhaupt niemand besonderen Grund zu haben, noch länger hierzubleiben. William Bright ersuchte bei der Polizei um die Erlaubnis, weiterziehen zu dürfen, und bekam sie auch, allerdings mit der Auflage, daß er sie über seinen Verbleib auf dem laufenden halten müsse. Er begab sich augenblicklich in sein Quartier in Seahampton, packte seine Sachen und brach auf in Richtung Norden. »Und wir können nur hoffen«, sagte Polizeidirektor Glaisher, »daß die Kollegen ein Auge auf ihn haben. Wir können ihm nicht durch ganz England nachreisen. Es liegt ja nichts gegen ihn vor.«
Wimsey und der Inspektor, die am Dienstagmorgen nach Wilvercombe zurückkehrten, fanden zur Begrüßung neue Informationen vor.
»Wir haben Perkins«, sagte der Polizeidirektor.
Wie es aussah, hatte Mr. Julian Perkins, nachdem er Darley verlassen und sich in einem Mietwagen nach Wilvercombe hatte fahren lassen, von dort den Zug nach Seahampton genommen und von diesem Punkt aus seine Wanderschaft fortgesetzt. Nach etwa zwanzig Meilen war er von einem Lastkraftwagen angefahren worden. Infolgedessen hatte er fast eine Woche bewußtlos im örtlichen Krankenhaus gelegen. In seinem Reisegepäck hatte man nichts gefunden, was Auskunft über seine Identität gegeben hätte, und erst als er wieder zu sich kam und von seiner Umwelt Notiz nehmen konnte, bekam man etwas über ihn heraus. Sobald er sich wieder unterhalten konnte, erfuhr er, daß seine Leidensgenossen über die Untersuchungsverhandlung von Wilvercombe sprachen, und erwähnte dabei wichtigtuerisch, daß er der jungen Dame, die den Leichnam gefunden hatte, Auge in Auge gegenübergestanden hatte. Eine der Krankenschwestern erinnerte sich daraufhin, daß im Rundfunk eine Suchmeldung nach einem Mr. Perkins in Verbindung mit ebendiesem Fall gekommen war. Man setzte sich mit der Polizei von Wilvercombe in Verbindung, und Konstabler Ormond wurde geschickt, um Mr. Perkins zu vernehmen.
Natürlich war jetzt völlig klar, warum auf die Suchmeldung keine Antwort gekommen war, weder von Mr. Perkins selbst noch von denen, mit denen er zur Zeit der Ausstrahlung zusammen war. Man hatte inzwischen auch herausbekommen, warum Mr. Perkins’ Verschwinden niemandem aufgefallen und von niemandem gemeldet worden war. Mr. Perkins war ein Londoner Volksschullehrer, den man aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend beurlaubt hatte. Er war unverheiratet und hatte als Vollwaise keine nahen Verwandten, und er wohnte in einer Pension in der Nähe der Tottenham Court Road. Er hatte die Pension im Mai verlassen und gesagt, er wolle einen Wanderurlaub machen und werde für diese Zeit keine feste Adresse haben. Von Zeit zu Zeit wollte er der Heimleitung schreiben, wohin man ihm die Post nachschicken könne. Aber seit er zum letztenmal (am 29. Mai aus Taunton) geschrieben hatte, war keine Post mehr für ihn eingegangen. Folglich war niemand auf den Gedanken gekommen, sich nach seinem Verbleib zu erkundigen, und die Suchmeldung im Radio, in der nur der Nachname angegeben wurde, hatte es im Zweifel gelassen, ob der von der Polizei gesuchte Mr. Perkins mit dem Mr. Julian Perkins aus der Pension identisch war. Da sowieso niemand wußte, wo er sich aufhielt, hätte ja auch niemand irgendwelche Auskünfte über ihn geben können. Die Polizei setzte sich mit der Pension in Verbindung und ließ sich Mr. Perkins’ Post schicken. Sie bestand aus einem Werbebrief von einem billigen Schneider, einer Aufforderung, sich im letzten Moment an der irischen Lotterie zu beteiligen, und dem Brief eines Schülers, in dem es um Pfadfinderangelegenheiten ging.
Mr. Julian Perkins schien nicht gerade der geborene Verbrecher zu sein, aber man konnte nie wissen. Und so wurde er – im roten Anstaltspyjama im Krankenbett sitzend, das besorgte, unrasierte Gesicht von Verbänden umgeben, aus denen seine große Hornbrille
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