Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Zeit verschickt?«
»Hm, ja, Sir. Erinnern Sie sich nicht? Da war doch dieser Mensch, der sagte, er braucht russische Typen für die Provinz.«
»Stimmt ja, stimmt. Ich wußte doch, daß da jemand war. Erzählen Sie den Herren, wie das war. Wir kannten ihn nicht, oder?«
»Nein, Sir. Er sagte, er wolle sich mit einer eigenen Truppe selbständig machen. Der Name war – Augenblick.« Er nahm einen Ordner von einem Regal und blätterte ihn mit angefeuchtetem Finger durch. »Ja, hier ist er. Maurice Vasavour.«
»Feiner Name«, knurrte Sullivan. »Natürlich nicht sein eigener. Den nehmen sie nie. Heißt wahrscheinlich Potts oder Spink. Als Potts oder Spink kann man kein Theater leiten. Klingt nach nichts. Ich erinnere mich jetzt an den Mann. Kleiner Kerl mit Bart. Suchte angeblich eine Besetzung für romantisches Drama und wollte russische Typen. Wir haben ihm die Livinsky und die kleine Petrovna gegeben und noch ein, zwei andere. Dieses Foto schien es ihm aber angetan zu haben, das weiß ich noch. Ich habe ihm gesagt, daß die Petrovna mehr Erfahrung hat, aber er hat gemeint, das soll ihm gleich sein. Der Kerl gefiel mir nicht.«
»Nein?«
»Nein. Die gefallen mir nie, wenn sie hübsche Mädchen ohne Erfahrung wollen. Der alte Onkel Sullivan mag ja ein Rauhbein sein, aber so was kann er nicht leiden. Hab ihm gesagt, die Kleine hat schon Arbeit, aber er hat gemeint, er will’s mal bei ihr probieren. Sie ist aber nie deswegen zu mir gekommen, darum glaube ich, sie hat ihn abblitzen lassen. Wenn sie gekommen wäre, hätte ich ihr was geflüstert. So scharf bin ich auf die Provision auch wieder nicht, und wenn Sie eins von den Mädchen fragen, wird sie Ihnen das sagen. Was ist denn los? Hat dieser Vasavour mit ihr was angestellt?«
»Nicht direkt«, sagte Wimsey. »Sie hat noch immer die Stelle als Mannequin. Aber Vasavour – zeigen Sie Mr. Sullivan doch einmal das andere Foto, Inspektor. Ist das der Mann?«
Mr. Sullivan und Horrocks steckten über dem Foto von Paul Alexis die Köpfe zusammen und schüttelten sie gleichzeitig.
»Nein«, sagte Horrocks. »Das ist er nicht.«
»Keine Ähnlichkeit«, sagte Mr. Sullivan.
»Ganz sicher?«
»Kein bißchen Ähnlichkeit«, wiederholte Mr. Sullivan mit Nachdruck. »Wie alt ist der Kerl hier? Nun, dieser Vasavour war mindestens vierzig. Hohlwangiger Hungerleider mit einer Stimme wie Mutter Siegels Syrup. Würde einen guten Judas abgeben, wenn man so einen wollte.«
»Oder einen Richard III.«, meinte Mr. Horrocks.
»Wenn Sie die Rolle schmierig sehen«, sagte Mr. Sullivan. »Aber im fünften Akt kann ich ihn mir nicht vorstellen. Für die Stelle mit den Bürgern geht’s ja noch. Sie wissen ja. Richard tritt auf, lesend, zwischen zwei Mönchen. Ehrlich gesagt«, fuhr er fort, »ist das eine schwer zu besetzende Rolle. Widersprüchlich, finde ich. Sie trauen es mir vielleicht nicht zu, aber hin und wieder lese und denke ich ein bißchen, und was ich sagen will, ich glaube nicht, daß Shakespeare ganz bei der Sache war, als er diese Rolle schrieb. Zu schmierig am Anfang und zu hart am Schluß. Das entspricht nicht der Natur. Natürlich spielt das Stück sich immer gut. Weil Schwung drin ist, darum. Da bewegt sich was. Aber aus Richard hat er zwei Menschen in einem gemacht, und das stört mich. Der eine ist ein Wurm, ein Intrigant, und der andere ein Draufgänger, der die Leute köpft und Wutausbrüche bekommt. Irgendwie paßt das nicht zusammen, wie?«
Inspektor Umpelty begann mit den Füßen zu scharren.
»Ich meine«, sagte Wimsey, »Shakespeare wollte Richard als einen dieser Menschen darstellen, die immer bewußt eine Rolle spielen – sozusagen alles dramatisieren. Ich glaube, seine Wutanfälle sind genauso unecht wie seine Liebesanwandlungen. Die Szene mit den Erdbeeren – das ist doch eindeutig aufgesetzt.«
»Vielleicht. Aber die Szene mit Buckingham und der Uhr – was? Kann schon sein, daß Sie recht haben. Ist ja eigentlich auch nicht mein Metier, über Shakespeare Bescheid zu wissen. Flotte Mädchenbeine sind mein Fach. Aber ich hab mein Leben lang auf die eine oder andere Art mit der Bühne zu tun gehabt, und die besteht eben nicht nur aus Beinen und Schlafzimmerszenen. Da müssen Sie lachen, wie? Mich so reden zu hören, was? Aber ich will Ihnen mal was sagen, manchmal hängt mein Gewerbe mir zum Hals heraus. Von den Theatermanagern will die Hälfte keine Schauspieler und Schauspielerinnen – die wollen Typen. Als mein Vater noch ein
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