Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
so sehr zu sorgen, weil die Flut ja hereinkam. Das war durchaus zu machen. Dann ist er an der Stelle, wo er zuvor heruntergestiegen war, wieder die Steilküste hinaufgestiegen, ist der Straße in Richtung Wilvercombe gefolgt, hat an irgendeiner Stelle kehrtgemacht und ist Ihnen auf dem Rückweg begegnet. Wie ist das?«
»Kaum zu widerlegen.«
»Je länger ich es mir ansehe, desto besser gefällt es mir. Ich bin richtig vernarrt in die Idee, daß Bright und Perkins identisch sind. Aber einen Augenblick, was ist mit dem Buckel oder der schiefen Haltung? War Perkins so gerade gewachsen wie eine Bohnenstange oder wenigstens fast so?«
»Keineswegs. Aber verwachsen würde ich ihn auch nicht unbedingt nennen. Eher ein bißchen gebeugt und schlapp. Er hatte einen Rucksack auf dem Rücken und humpelte leicht, wegen einer Blase am Fuß, wie er sagte.«
»Damit kann man einen Haltungsfehler prächtig tarnen. Man läßt auf der lahmen Seite die Schulter etwas hängen. Bright-Perkins ist unser Mann. Darauf sollten wir die Polizei sofort ansetzen, aber ich möchte jetzt so gern etwas essen. Wieviel Uhr ist es? Vier! Ich fahre rasch mit dem Wagen fort und rufe Glaisher an, dann komme ich zurück. Ich sehe nicht ein, daß wir auf unser Picknick verzichten sollen, auch nicht wegen noch so vieler Mörder.«
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Das Zeugnis des Polizeidirektors
Mein Leben setz’ ich, daß der Geizhals Der heimlich nachts zu seinen Schätzen schleicht
Und vor dem Altar seiner Liebe niederkniet,
Zum Gold, dem gelben Teufel, betet.
THE BRIDE’S TRAGEDY
MONTAG, 22. JUNI
»Sie können sagen, was Sie wollen, Mylord«, sagte Inspektor Umpelty, »und ich gebe auch gern zu, daß der Polizeidirektor ein wenig zu Ihrer Ansicht neigt, aber es war trotzdem Selbstmord, und wenn ich ein Spieler wäre, würde ich sogar darauf wetten. Natürlich kann es nicht schaden, diesen Bright ausfindig zu machen, denn wenn das Rasiermesser richtig identifiziert wurde, muß dieser Alexis es von ihm gekauft haben, aber für mich steht zweifelsfrei fest, daß der arme Kerl am Donnerstagmorgen mit der Absicht aus dem Haus gegangen ist, nie mehr wiederzukommen. Sie müssen sich sein Zimmer nur einmal ansehen. Alles weggeräumt, alle Rechnungen bezahlt, alle Papiere im Kamin verbrannt – man sollte meinen, er hat sich regelrecht von der Welt verabschiedet.«
»Hat er seinen Hausschlüssel mitgenommen?« fragte Wimsey.
»Ja, das hat er. Aber was heißt das schon? Ein Mann hat seinen Schlüssel gewöhnlich in der Tasche und denkt nicht daran, ihn herauszunehmen. Aber so ziemlich alles andere hat er in bester Ordnung hinterlassen. Sie würden staunen. Nicht einmal einen Briefumschlag hat er liegengelassen. Ein schönes Feuerchen muß er gemacht haben. Kein Foto, keine Zeile, die einem verraten könnte, wer er war und woher er eigentlich kam. Alles gründlich beseitigt.«
»Und aus der Asche ist nichts mehr zu retten?«
»Absolut nichts. Natürlich hat Mrs. Lefranc – die Wirtin – am Donnerstagmorgen auch noch den Kamin ausgefegt, aber sie hat mir gesagt, es sei alles nur noch feinste Asche und Staub gewesen. Und eine ziemliche Menge war das. Ich weiß das, weil sie mir den Mülleimer gezeigt hat. Da war jedenfalls nichts mehr drin, woran man selbst unter dem Mikroskop noch etwas hätte erkennen können. Wie Sie wissen, Mylord, sind solche Leute gewöhnlich nicht sehr gründlich – sie lassen das eine oder andere halbverbrannt zurück, aber dieser Bursche hat es richtig angestellt, das muß man ihm lassen. Er muß alles zuerst in kleine Stückchen gerissen, dann in einem heißen Feuer verbrannt und die Asche noch mit dem Schürhaken zerkleinert haben. Na ja, ich habe zu Mrs. Lefranc gesagt: ›Das ist ja eine schöne Bescherung‹, und die war es auch.«
»Keine Bücher mit irgendwelchen Eintragungen auf dem Vorsatzblatt?«
»Nur ein paar Romane, in denen ›Paul Alexis‹ stand, und noch ein paar, in denen gar nichts stand, und dann noch ein paar Taschenbücher auf Chinesisch.«
»Chinesisch?«
»So sah es jedenfalls aus. Vielleicht auch Russisch. Jedenfalls nicht in richtiger Schrift. Sie können sie sich jederzeit ansehen, wenn Sie wollen, aber ich glaube nicht, daß Sie sehr schlau daraus werden. Das eine oder andere Geschichtsbuch war auch darunter, meist über Rußland und so. Aber keine Briefe oder Aufzeichnungen.«
»Und Geld?«
»Nichts.«
»Hatte er ein Bankkonto?«
»Ja, er hatte ein kleines Konto bei Lloyds. Etwas über dreihundert Pfund. Aber
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