Wind des Südens
vor. »Sie sind alle in Ordnung«, verkündete er freundlich. »Die beiden sind froh, nach Hause zu fahren, und wir haben jetzt zwei Ausländer weniger, um die wir uns kümmern müssen.«
Dann kehrte er zurück und gab Chang und Wu Tin eine eindringliche Warnung mit auf den Weg: »Das Schiff sticht bei Tagesanbruch in See. Bis jetzt hat alles geklappt. Bleiben Sie an Bord. Ganz gleich, was geschieht, verlassen Sie auf keinen Fall das Schiff. Ich möchte nicht, dass Sie irgendeinem übereifrigen Beamten von der Einwanderungsbehörde in die Arme laufen.«
Während Wu Tin nervös hin und her marschierte, bedankte Chang sich herzlich. »Bitte richten Sie Mr. Willoughby Abschiedsgrüße von mir aus«, fügte er hinzu. »Es tut mir Leid, dass ich vor meiner Abreise nicht mehr mit ihm sprechen konnte. Hat er immer noch Fieber?«
»Ja, es geht ihm sehr schlecht. Es heißt, dass Moskitos dieses Fieber übertragen, und von denen haben wir hier ja mehr als genug.«
»Dann wünsche ich ihm gute Besserung.«
Jesse blickte Chang nach, als dieser in aller Gemütsruhe unter Deck ging und vom dem japanischen Offizier mit einem Nicken begrüßt wurde.
»Gott sei Dank, dass wir die Kerle los sind«, seufzte er und kehrte zurück in seine Redaktion.
Wu Tins Argwohn hatte sich noch nicht gelegt. Anscheinend waren sie wohlbehalten an Bord eines Schiffes angelangt, das am Morgen ablegen würde. Das hatte der weiße Boss gesagt, wie Chang erklärte. Allerdings handelte es sich um ein japanisches Schiff, und Japanern konnte man nicht über den Weg trauen. Vielleicht werfen sie uns ja über Bord, grübelte er. Wu Tin war als Diener geboren worden. Seine Familie diente der Ehrfurcht gebietenden Familie Li nun schon seit vielen Generationen und nahm ihre untergeordnete Stellung fraglos hin. Als man Wu Tin ausgesucht hatte, um ihn in ein fremdes Land zu schicken, war er starr vor Angst gewesen und hatte jede Nacht geträumt, widerwärtige Ungeheuer würden ihn grausigen Foltern unterwerfen, und böse Drachen warteten nur darauf, sich auf ihn zu stürzen und ihn in Stücke zu reißen.
Seine Frau hatte kein Verständnis für ihn und seine Albträume. Sie herrschte ihn nur an, dass sie sich für ihn schämt, und drohte sogar, ihren Namen zu ändern, denn vor dem Anwesen der Lis versammelten sich bald Hunderte von Kulis, weshalb sie überzeugt davon war, dass man ihren Mann zum Kuli herabgestuft hatte. Erst als seine Mutter sich mithilfe von Bestechungsgeldern weitere Informationen beschaffen konnte, erfuhren sie, dass Mitglieder von vierzig Familien, angefangen bei Gutsverwaltern, Kammerdienern und Köchen bis hinunter zu einfachen Dienstboten wie Wu Tin, zum Hofstaat gehören sollten.
Allerdings hörte sie bei ihren Nachforschungen auf den Fluren des Schweigens noch mehr, nämlich dass das fremde Land weit weg auf der anderen Seite des Ozeans lag. Es war so viele Kilometer entfernt, dass das Schiff (das Wort allein löste bereits klägliches Jammern aus), das sie ins Unbekannte bringen sollte, sicher am anderen Ende der Welt herunterfallen würde.
Die Auserwählten, die nicht die Möglichkeit hatten, sich zu weigern oder auch nur nach dem Grund zu fragen, machten sich wie befohlen an die Reisevorbereitungen. Wu Tins dunkles Gesicht mit dem kantigen Kiefer und den traurigen Augen hatte schon immer einen melancholischen Ausdruck gehabt, der sich kurz vor der Abreise noch verstärkte. Seit Tagen schon überhäufte seine Frau ihn mit schrillen Verwünschungen und drohte ihm mit dem Besen, weil er ihr kein Geld zurücklassen konnte, was ihm ausgesprochen peinlich war. Seine Mutter, felsenfest überzeugt davon, dass er am anderen Ende der Erde sterben würde, zündete laut weinend Kerzen an, hüllte sich in Trauerkleidung und betete für seinen raschen Übergang in eine andere und bessere Welt.
Wu Tins Befürchtungen wurden bestätigt: Die Schiffsreise war entsetzlich, und das neue Land befand sich eindeutig dicht am Rand der Erde. In einer Dschungelstadt befahl man ihm, Changs Diener zu werden – ein Gernegroß, der sich für etwas Besonderes hielt. Wu Tin wurde gezwungen, zu Fuß Berge zu überqueren, in denen Wilde hausten. Auf den Goldfeldern gab man ihm ein Pferd und setzte einfach voraus, dass er reiten konnte. Noch nie zuvor hatte Wu Tin auf einem Pferd
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