Wind Die Chroniken von Hara 1
bist, und die Gründe deiner Reise können mir erst recht gestohlen bleiben.«
»Umso besser für uns beide. Sag mal, der Mann, der deine Kehle so begeistert zugedrückt hat … legt der alten Bekannten gegenüber immer so ein Verhalten an den Tag?«
»Bisher nicht. Ehrlich gesagt, verstehe ich überhaupt nicht, was hier vorgeht. Du hast behauptet, dass an seinem Verhalten ein Dämon schuld ist.«
»Hab ich nicht.«
»Aber du hast gesagt, jemand habe ihn in seiner Gewalt.«
»Nur war das kein Dämon, sondern ein Geist.«
»Was spielt denn das für eine Rolle?! Kannst du mir nun erklären, was mit ihm los ist, oder nicht?«
»Wie gesagt, jemand hat den Jungen in seiner Gewalt«, erwiderte er. »Aber die Sache ist merkwürdig. Ich«, und dieses Wort hob er hervor, »habe so etwas bisher noch nie erlebt. Auch im Buch der Anrufungen wird ein solcher Fall nicht erwähnt.«
»Und wo hat sich unser Dorftrottel diesen Mist eingefangen?«
»Keine Ahnung. Das kann sonst wo geschehen sein. Vielleicht ist dieses Wesen auch einfach über ihn hergefallen. Schwachsinnige sind ein gefundenes Fressen für solche Kreaturen. Gibt es in der Nähe eures Dorfes einen aufgegebenen Friedhof oder ein verlassenes Dorf?«
»Nein. Aber ich glaube, ein Schwein findet immer Schlamm, in dem es sich suhlen kann.«
Er nickte nachdenklich und blickte auf seinen Teller. Das Essen war inzwischen kalt geworden. »Im ersten Moment habe ich den Jungen für einen Räuber gehalten. Dann habe ich ihn mir aber genauer angesehen. Und ich versichere dir: Der Anblick hat mich verblüfft. Als stünde jemand hinter ihm und hielte ihn an Fäden. Und dieser Jemand verfügte über die Gabe. Der hätte dich mühelos ausschalten können. Deshalb habe ich nicht gezögert …«
»… den Stab herauszuholen und diesem Wesen den Garaus zu machen«, beendete ich den Satz.
»Das eben nicht«, widersprach er. »Es ist mir nicht gelungen, diese Kreatur zu töten.« Ihm stand ins Gesicht geschrieben, dass ihn das bis tief in die Seele hinein kränkte. »Das Wesen übertraf alles, mit dem ich es bisher zu tun hatte. Keine der mir bekannten Vertreibungsformeln wirkte. Dir ist klar, wovon ich spreche? Oder soll ich mich einfacher ausdrücken?«
»Nein, sprich weiter.«
»Mir ist es lediglich gelungen, die Fäden zwischen dem Jungen und diesem Wesen kurzzeitig zu trennen, sodass der Bursche fliehen konnte. Du hast selbst mit angesehen, wie er die Gewalt über seinen Körper zurückgewann.«
»Und wohin ist der Geist verschwunden?«
»Vorübergehend geschmolzen, nehme ich an.«
»Und den kann man nicht besiegen?«
»Besiegen kannst du alles und jeden. Die Frage ist, wie. Ich nehme an, wenn die Körperhülle zerstört würde, in der dieser Geist steckt, gäbe es eine gewisse Chance, ihn für immer loszuwerden.«
Ich knirschte nur mit den Zähnen. Bereits zum zweiten Mal bedauerte ich, den Hirten nicht in die Glücklichen Gärten geschickt zu haben. Das hätte ich schon tun sollen, als Gnuzz mit ihm an dieser vermaledeiten Lichtung aus den Sträuchern aufgetaucht war.
»Im Grunde hatten wir aber noch Glück. Wenn ich den Geist nicht hinterrücks erwischt hätte, dann hätte alles wesentlich schlimmer enden können. Sag mal, ist in eurem Dorf mal eine Schreitende oder eine Glimmende gewesen?«
»Was hätte die denn bei uns verloren?«
»Nun … vielleicht war sie auf der Durchreise. Ich versuche einfach zu verstehen, woher dieses merkwürdige Wesen kam. Und ich verwette meinen Stab, dass es zu Lebzeiten magisch begabt war.«
»Du musst es ja wissen.«
»Dir ist also niemand aufgefallen. Seltsam …« Er zog die dichten Brauen zusammen.
»Was ist seltsam?«
»Ich habe da eine Hypothese … eine Vermutung«, verbesserte er sich sofort, weil er glaubte, ich verstünde das erste Wort nicht. »Wenn in Porks Nähe ein Mensch mit der Gabe gestorben wäre, dann hätte sein Geist die günstige Gelegenheit nutzen können und …«
Er ließ auch diesen Satz unvollendet, seufzte schicksalsergeben und machte sich über sein kaltes Essen her. Ich dagegen saß wie vom Donner gerührt da. Denn im Unterschied zu Giss wusste ich, welcher Mensch mit Gabe in Hundsgras gestorben war.
Die Verdammte Typhus!
Die Mörderin Sorithas!
Und wenn ich mich nicht irrte, hatte sich Pork in diesem Augenblick in ihrer Nähe befunden.
Konnte das sein? Hatte dieses Luder tatsächlich den Schlag des Heilers und danach auch noch meine Pfeile überlebt? Der Volksmund behauptet ja, dass die
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