Windbruch
Stelle mal einen Vers genauer an. „Hm, schnulzig bis depressiv würde
ich sagen. Nur gut, dass meine Frau so überhaupt keine poetische Ader hat“,
sagte er gedehnt.
Als die Mitarbeiter der
Spurensicherung die Wohnung betraten, bekamen sie von Büttner noch einige
Anweisungen, dann ging er mit Hasenkrug hinaus. Als sie in der immer noch
belebten Fußgängerzone standen, atmete er tief ein und sagte dann: „Feierabend.
Hasenkrug, haben Sie Lust auf einen Glühwein? Ich glaube, den haben wir uns
jetzt verdient. Alles andere sehen wir dann morgen. Sollte mich wundern, wenn
Sieverts da nicht einen guten Riecher bewiesen hat. Alles, was uns jetzt noch
fehlt, ist die Henzler. Ich denke, wir sollten sie noch schnell zur Fahndung
ausschreiben lassen und dann ... Prost!“
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Nichts. Gar nichts. Inka Henzler
blieb spurlos verschwunden. Alle Fahndungsaufrufe blieben ohne Ergebnis, und
keiner wollte sie nach der Entführung des kleinen Jungen noch gesehen haben.
Man hatte sich in Krankenhäusern, an Bahnhöfen, Häfen und Flughäfen nach ihr
erkundigt, aber auch das brachte die Polizei keinen Schritt weiter.
„Es ist einfach ärgerlich“,
maulte Büttner, und seine Laune verschlechterte sich von Tag zu Tag, „da hat
man endlich mal eine halbwegs brauchbare Spur, und trotzdem landet man, egal,
was man unternimmt, an allen Stellen mit Karacho in einer Sackgasse.“ An diesem
Morgen hatte er erstmals seit Tilmans Rückkehr Sonja Langhoff und ihre Kinder
aufgesucht. Immerhin war jetzt klar, dass es sich bei Inka Henzler zumindest um
eine Mittäterin handeln musste, da Tilman mit strahlendem Gesicht und wild
rudernden Armen erzählt hatte, wie toll die Frau aus dem Büro, die dann später
mit ihm in einer Wohnung gewesen sei, Bilder malen konnte. Zudem waren in Inka
Henzlers Wohnung jede Menge DNA-Spuren von Tilman sichergestellt worden.
Allerdings vermochte Tilman nicht
zu sagen, wie er aus dem Unternehmen hinaus und in Inkas Wohnung gekommen war.
Und auch Nicolas schien sich an keine weitere Person als Inka zu erinnern, außer
dem großen Mann, den er bereits erwähnt hatte. Der hatte Tilman angeblich
geschnappt, nachdem er Inka irgendwas über den Kopf geschlagen hatte. Auf die
Frage, was er in der Zwischenzeit gemacht habe, hatte Tilman gesagt, er habe
geschlafen und sei erst in der Wohnung wieder aufgewacht. Offensichtlich war er
noch in der Firma betäubt worden. Büttner ging davon aus, dass der ominöse Mann
mit den parfümgetränkten Notizzetteln in der Geschichte eine Rolle spielte, auch
wenn es dafür keinerlei Beweise gab. Er verließ sich da mehr auf sein
Bauchgefühl. Aber so lange man nicht wusste, wer dieser Mann war, kam man an
ihn natürlich auch nicht heran. Die Polizisten waren mit einem Foto von Inka
Henzler an allen Orten gewesen, die auf den Notizzetteln benannt worden waren,
aber auch da konnte man sich nur an sie, nicht jedoch an eine Begleitung
erinnern. Der Kerl, wer auch immer es war, war anscheinend übervorsichtig und
hinterließ keinerlei Spuren. Vermutlich war er verheiratet und seine Frau
sollte nichts von dem Techtelmechtel erfahren.
Hauptkommissar Büttner ging mit
einer Tasse Kaffee in der Hand in seinem Büro auf und ab und starrte immer
wieder mit gerunzelter Stirn auf die große Magnetwand, an der die Polizisten
versucht hatten, die vielfältigen Handlungsstränge der mit der N.S.OffshorePower
Ltd. in Zusammenhang stehenden Verbrechen zusammenzuführen. Aber für seinen
Geschmack endeten noch viel zu viele Pfeile der wirrsten Grafik der Welt ,
wie Hasenkrug die Zeichnung nannte, mit einem Fragezeichen. Wer zum Beispiel
war für die Verklappung von hochtoxischer Säure in die Nordsee und damit für
den grausamen Tod von der Sekretärin verantwortlich? Die Beamten hatten gleich
nach dem Auftauchen der Papiere, die Maarten Sieverts von einem Arbeiter namens
Kalle erhalten hatte, Vorstand Hans-Jürgen Naumann zum Verhör einbestellt. Aber
der war so ehrlich überrascht und entsetzt gewesen, als man ihn mit den Vorgängen
konfrontierte, dass man sicher sein konnte, dass er davon tatsächlich nichts
gewusst hatte. Schade, dachte Büttner, wäre ja auch zu einfach gewesen.
Und dann war da der Mord an
Steffen Rautschek. Hier lag noch alles im Nebel. Dass Tomke Coordes ihn
umgebracht hatte, wie von diesem Hufschmidt behauptet, schied für Büttner aus.
Sie hatte keinerlei Motiv. Georg Hufschmidt hingegen musste mit ihr noch
irgendeine Rechnung offen haben. Aber bei seiner Befragung hatte
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