Windbruch
sah sie, in ihrem von vielen Kerzen erhellten
Wohnzimmer. Wie romantisch sie war, mit alle den Kerzen! Dann würde ihr
bestimmt auch der große Blumenstrauß gefallen, mit dem er sie jetzt überraschen
würde! Vielleicht würde sie zunächst ein wenig herumzicken, wenn er sie bat,
mit ihm in sein Schloss zu gehen. Aber auch das hatte er eingeplant. In diesem
Fall würde er sie eben schlafend über die Schwelle tragen. Und sie dann langsam
wieder wachküssen.
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Es war purer Zufall, dass das
Feuer schnell entdeckt wurde. Ein Feuerwehrmann, der als einer der ersten am
Einsatzort eingetroffen war, würde es später gegenüber der Zeitung schmunzelnd
als beschissenes Glück bezeichnen. Und wenn man es genau nahm, war es
das tatsächlich. Denn nur der Durchfallerkrankung seines Hundes war es zu
verdanken, dass ein Nachbar bei dem unwirtlichen Wetter, das an diesem Abend
herrschte, um genau die Zeit sein Haus verließ, als die Zeitung in Tomkes
Coordes’ Wohnzimmer Feuer fing. Keiner konnte sich erklären, wie es möglich
war, dass Tomke das Haus verlassen hatte, ohne zuvor die zahlreichen Kerzen zu
löschen, die im Wohnraum für eine heimelige vorweihnachtliche Atmosphäre sorgten.
Alle Versuche, Tomke über ihr Handy zu erreichen, liefen ins Leere. Es meldete
sich immer nur die Mailbox. Als Hauptkommissar Büttner am Einsatzort eintraf,
herrschte Ratlosigkeit. Denn nach den Angaben aller Nachbarn, die sich
neugierig vor dem rotweißen Absperrband drängelten, passte solch eine
Nachlässigkeit nicht zu Tomke Coordes. „Da muss irgendwas passiert sein“,
brachte es ein älterer Mann auf den Punkt.
Dieser einfache Satz trieb
Büttner trotz des eisigen Windes, der um die Häuserecken pfiff, den Schweiß auf
die Stirn. Hörte das denn nie auf? Er hatte keine Lust auf noch mehr Drama.
Immer, wenn er dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, wurde er sofort
eines Besseren belehrt. Es konnte doch wohl nicht sein, dass schon wieder
jemand verschwunden war, der unmittelbar mit der N.S.OffshorePower Ltd. in Verbindung stand! Wenn er Glück hatte, hatten sich die Nachbarn getäuscht.
Denn es konnte ja sein, dass Tomke Coordes nach dem Unglück nicht mehr dieselbe
war wie zuvor. Vielleicht war sie immer noch etwas verwirrt und hatte ganz
einfach vergessen, die Kerzen auszublasen. Womöglich trieb sie sich gerade mit
Freunden auf dem Emder Weihnachtsmarkt herum und ließ sich ihren Glühwein schmecken.
Das wäre wirklich zu schön um wahr zu sein. Aber soviel Glück würde er nicht
haben, das sagte ihm schon sein Bauchgefühl. Nun ja, wenigstens hatte er soeben
noch gut gegessen, seine Frau hatte einen herrlich deftigen Eintopf
aufgetischt. Der lag ihm zwar nach der Ente am Mittag etwas schwer im Magen,
war aber ganz köstlich gewesen.
„Hasenkrug, schauen Sie doch
bitte mal in der Wohnung von Frau Coordes nach, ob es irgendwo ein Notizbuch
oder Ähnliches mit Telefonnummern gibt. Und wenn ja, geben Sie es direkt an die
Kollegen im Revier, und die sollen sie abtelefonieren, eine nach der anderen,
und fragen, ob sich Frau Coordes bei irgendeinem von denen aufhält. Das Gleiche
machen Sie selbst dann bitte mit den gespeicherten Kontakten in ihrem
Festnetztelefon. Aber gleichen Sie die Listen zuvor miteinander ab. Nicht, dass
wir diverse Leute doppelt anrufen und die uns für unterbelichtet halten.“
Gerade, als er mit seinen Anweisungen fortfahren wollte, kam ein Kollege der
Spurensicherung auf ihn zu und reichte ihm ein Handy im Plastikbeutel. „Das
dürfte das Handy der vermissten Person sein“, sagte er, „ist auf lautlos
geschaltet.“
„Gut“, antwortete Büttner, „das
erklärt auch, warum wir sie nicht erreicht haben. Hasenkrug, Sie wissen, was
Sie zu tun haben“, wandte er sich an seinen Assistenten und reichte den Beutel
an ihn weiter.
„Bleibt nur zu hoffen“, fuhr er
an den Kollegen der Spurensicherung gewandt fort, „dass Frau Coordes das Handy
absichtlich hier liegengelassen hat, um endlich mal ungestört zu sein. Das
würde auch erklären ...“
„Wohl kaum“, fiel ihm ein
weiterer Kollege in weißem Schutzanzug ins Wort und hielt ihm einen weiteren
Plastikbeutel vor die Nase, in dem sich ein helles Tuch befand.
„Was ist das?“, fragte Büttner
und sah sich den Beutel mit gerunzelter Stirn an.
„Ein Tuch.“
„Ach was.“
„Mit Chloroform.“
„Scheiße.“
„Ja, sieht nicht so aus, als habe
Frau Coordes freiwillig ihr Haus verlassen.“
„Buchen Sie mir bitte einen Flug
nach
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