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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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hat offenbar die Gabe, die Geister hören zu können, aber er hat Isiq beleidigt und wurde vom Schiff gejagt. Inzwischen wünschte ich, ich hätte ihn behalten können. Die Geister schwirren ständig um mich herum und hacken nach meinen Armen wie die Möwen. Wenn der Junge hier wäre, könnten sie sich auf ihn stürzen, und ich hätte Ruhe vor ihnen.
    Doch seit heute ist Seine Abscheulichkeit die größte Bedrohung. Was für eine Kreatur, verehrter Vater! Er hat Narben im Gesicht, als hätte ihn eine Dschungelkatze zerfleischt. Er ist uralt, hat aber schwellende Muskeln wie Drellarek, der Kehlenschlitzer, und eine Stimme wie ein Krokodil. Ich will Ihnen erzählen, wie er an Bord kam.
    Seine Abscheulichkeit sitzt seit vierzig Jahren auf der Gefängnisinsel Licherog, auf halbem Weg zwischen Uturphe und den Quezanen fest. Das Kaiserliche Gesetz verbietet es jedem Schiff, sich außer in höchster Seenot der Insel zu nähern, deshalb war ich gezwungen, einen solchen Zustand vorzutäuschen. Uskins stand Wache, und Swellows tat, was nötig war – er sägte die backbordseitige Ruderwelle fast bis zur Mitte durch. Um den Spaß noch zu steigern, richtete ich es so ein, dass die Schuld auf Fiffengurt fiel. Der lästige Alte stand um zwei Glasen nach Mitternacht am Ruder, als plötzlich der Wind umschlug. Er drehte scharf am Rad, die Welle brach, und die Chathrand krängte wie ein Karren nach dem Tritt eines Maultiers. Zwölfhundert Männer, Frauen und Kinder wurden zu Boden geschleudert. Das Frühstuck der Männer fiel vom Herd. Seither ist Fiffengurt nicht mehr so beliebt.
    Zwei Tage lang schleppten wir uns nach Norden. Die Männer fürchteten schon, wir hätten uns verirrt und trieben steuerlos dahin, und als der Ausguck ›Land! Zwei Strich nach steuerbord!‹ rief, erhob sich lauter Jubel. Doch als der große schwarze Felsen aus den Wellen auftauchte, erschauerten sie und machten das Zeichen des Baumes.
    Eine abweisende Mauer umgibt ganz Licherog, sie wird nur von Geschützen und einem massiven Eisentor durchbrochen, das an eine Ofentür erinnert. Am Himmel flatterten Tausende von Vögeln. Meilenweit vor der Insel sahen die Männer Haie, riesige Ungeheuer, in unserem Kielwasser dahingleiten. Sie schwärmen zu Hunderten in diesen Gewässern und leiden niemals Not. Auf Licherog ist der einzige Friedhof die See.
    Ein Boot kam uns entgegen und lotste uns durch die Riffe. Wir passierten das Wrack eines Viermaster-Blodmels, der vor einem halben Jahrhundert in der Hafenmündung gesunken war. Der Tag war so klar, dass ich auf dem Deck Skelette unterscheiden konnte: Mizzis, die in voller Rüstung ertrunken waren und noch Reste kalkverkrusteter Takelung in den Händen hielten.
    Ich überließ es Fiffengurt, die Instandsetzungsarbeiten zu überwachen, und ging mit Ott und Drellarek an Land. Der Gefängnisvorsteher von Licherog, eine hagere alte Vogelscheuche in einem Rock, wie er vor dreißig Jahren in Etherhorde in Mode gewesen sein mochte, nahm uns in Empfang. Der Mann ist ein Herzog aus einer uralten Familie und wurde auf die Insel verbannt, nachdem er seine eigene Nichte an die Flikker verkauft hatte. Er kannte den eigentlichen Zweck unseres Besuches – ich sah es daran, wie er schwitzte und sich wand. Die Aussicht, Seine Abscheulichkeit endlich loszuwerden, versetzte ihn in helle Aufregung.
    »Kommen Sie, meine Herren!«, sagte er. »Sie haben eine weite Reise hinter sich und freuen sich sicherlich auf eine Mahlzeit, ein Glas Wein und einen bequemen Sessel. Der Hafen ist ein Schweinestall, aber oben in der Zitadelle weht ein frischer Wind. Folgen Sie mir!«
    Er ging über eine von Vögeln verschmutzte Treppe voran, die vom Hafen nach oben führte. Die Ofentür schwang auf, und wir betraten Licherog.
    Über dieses Gefängnis sind viele Schauergeschichten in Umlauf, Vater, aber sie werden von der Wirklichkeit noch übertroffen. Die meisten Verurteilten leben unter der Erde in vielfach gewundenen Katakomben, wo Sonne und Regen niemals hinkommen. Sie haben nichts. Sie trinken aus den Händen, essen vom Steinboden oder haben sich aus dem Schlamm, den die Wachen mit ihren Stiefeln hereintragen, Teller geknetet. Ich sah einen Mann, der sich aus seinem eigenen Haar ein Bett gemacht hatte, so lange hatte er schon in ein und demselben Raum gelegen. Die Gänge scheinen endlos. Ganze Stockwerke wurden der Anarchie überlassen. Das Essen wird an einem Haupteingang abgestellt, dort werden auch Leichen abgeholt, aber kein Wärter betritt

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