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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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    Und es war ein berauschender Anblick. Der Tunnel war nur wenige Zoll breit und führte schnurgerade durch die Uhr und weiter – vierzig Fuß weit – durch die Wand, die Nachbarkabine und die Kabine dahinter. Er hätte etwa in der Mitte des Speisesaals der Ersten Klasse enden müssen. Ein kalter Luftzug drang aus der Öffnung und brachte einen Hauch Zedernrauch und ein paar schwarze Sandkörnchen mit, die aus der Uhr fielen und sich zwischen Taschas Ringen und Armbändern verteilten.
    Doch zugleich war der Tunnel nicht vorhanden. Pazel fasste mit der Hand hinter die Uhr und spürte nichts, schaute dahinter und sah nichts als die glatte Kabinenwand. Der Tunnel existierte nur innerhalb der Uhr.
    Und an seinem anderen Ende befand sich ein erleuchteter Raum. Er war kaum zu erkennen, ein winziger, scharfer Punkt, als blicke man von der falschen Seite durch ein Fernrohr: knisterndes Feuer, ein dreibeiniger Hocker, ein Bücherregal, nicht mehr. Und das trostlose Rauschen eines Windes, der um die Chathrand herum nicht blies.
    Er richtete sich auf und machte große Augen. Tascha schob das Zifferblatt bis auf einen kleinen Spalt wieder zu.
    »Ramachnis Observatorium. So nennt er es selbst.«
    »Wo … wo ist es?«
    »In den Bergen einer anderen Welt.«
    »Seiner Welt?«
    Sie nickte. »Ich war schon dort. Wenn man so sagen kann.« Sie lachte. »Es gibt eine geheime Methode, die Uhr zu öffnen, und niemand glaubte, dass ich sie kenne. Aber ich hatte Hercól einmal heimlich beobachtet, während ich mich schlafend stellte, und als ich am nächsten Abend Lust verspürte, vor dem Zubettgehen mit Ramachni zu sprechen, öffnete ich die Uhr selbst. Er war nicht zu Hause, aber ich ließ das Zifferblatt angelehnt. Und in dieser Nacht passierte ich irgendwie den Tunnel und betrat das Observatorium. Ich sah wahre Wunder – eine schlafende Katze, die Rauchwolken durch die Nase ausstieß, ein Bücherregal, das jedes Mal, wenn ich die Hand ausstreckte, zu einer Wand wurde, ein großes Glashaus voller Bäume und Blumen, ungemein warm, aber auf einem Schneegipfel erbaut.
    Plötzlich stand Ramachni zwischen den Blumen. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Mensch. Er bot mir eine Erdbeere an, und als ich sie gegessen hatte, forderte er mich zu einem Spaziergang auf. Wir gingen durch das Glashaus in eine Art dunklen Werkzeugschuppen, ich fror – der Boden war eine Mischung aus Schnee und Sand –, und dann stieß er die Tür am Ende auf, und ich sah die Gipfel, wir waren von mächtigen Eisgipfeln umgeben, und die Luft war dünn und sehr kalt. Wir traten hinaus, und ich erkannte, dass wir am Rand einer Klippe standen. Hoch oben, Pazel – ich kann dir gar nicht sagen, wie erschreckend hoch oben wir waren. Der Wind pfiff, und der Boden unter meinen Bettsocken war eisglatt, aber man sah unendlich weit, und in der Ferne glitten Wesen größer als Wale zwischen den Wolken dahin. Und dann fragte er, ob ich wüsste, wo meine Heimat läge. Ich war in Tränen aufgelöst, aber er lachte nur und hielt mir die Augen zu. Der Tunnel sei kein Spielzeug, sagte er dann, und ich könnte ihn nun in meinem Leben nur noch zweimal auf diesem Weg besuchen. Dann nahm er die Hand weg, und ich war wieder in meinem Zimmer in Etherhorde.«
    »Tascha hat äußerst spektakuläre Träume«, bemerkte Hercól.
    »Das war kein Traum«, beteuerte sie heftig. »Hinterher waren meine Socken nass.«
    »Aber warum besucht er Sie?«, fragte Pazel. »Ich meine, warum gerade Sie.«
    Kurzes Schweigen: Tascha sah Hercól an. »Das wollen sie mir nicht sagen«, gestand sie endlich.
    »Du erfährst alles, was ich preisgeben darf«, sagte Hercól. »Beklage dich wegen dieser Geheimnistuerei bei unserem Magier, wenn wir ihn erst gefunden haben. Aber jetzt, mein Junge, möchte ich deine Gabe gerne noch etwas weiter erkunden.«
    Er stellte Pazel Fragen auf Tholjassanisch, Talturik und Noonfirth, und als Pazel jedes Mal antwortete, lachte Tascha vor Entzücken. Auch Pazel musste lächeln. Sie war nicht die Einzige, die etwas Besonderes vorzuweisen hatte.
    »Da ist noch etwas«, sagte er. »Manchmal höre ich besser als ein gewöhnlicher Mensch. Nur Stimmen – und wenn ich es recht überlege, nur in Übersetzung. Wenn Sie nach nebenan gingen und leise etwas auf Arqualisch sagten, würde ich gar nichts hören, weil ich Arqualisch gelernt habe, bevor meine Mutter den Zauber wirkte. Aber ich könnte Sie bestens hören, wenn Sie etwa Nileskchet …«
    Er brach unvermittelt ab.
    Hercóls Augen

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