Winslow, Don
überlegen, wie sie die
Barreras überwältigen, müssen sie ihr Versteck finden.
Ein Dutzend Häuser etwa gibt es an diesem einsamen Küstenabschnitt. Ein
paar direkt am Strand, die Mehrzahl auf der flachen Anhöhe dahinter. Drei sind
offenbar unbewohnt - weder Autos noch frische Fahrspuren. Es bleiben neun
Häuser, die völlig normal aussehen, zumindest vom Satelliten aus, obwohl Keller
schwer am Überlegen ist, auf welche Auffälligkeiten in diesem Fall zu achten
ist. Fast alle stehen auf Grundstücken, die von Geröll und Agavendickicht
befreit sind, haben Ziegel- oder Schilfdächer - fast alle.
Dann entdeckt er etwas Auffälliges.
Es ist beinahe nicht zu sehen, aber irgendetwas macht ihn stutzig.
»Zoom das mal näher heran«, sagt er zu Wallace.
»Was denn?«, fragt der, weil er nichts sieht'außer Gestein und Gestrüpp.
Es gibt Schatten, die von Steinen und Pflanzen geworfen werden, aber dort ist
ein Schatten, der eine gerade Linie bildet.
»Das ist ein Bauwerk«, sagt Keller.
Sie laden das Bild herunter und vergrößern es. Weitere Details sind
schwer zu erkennen, doch es wird deutlich, dass es dort einen Höhenunterschied
gibt.
»Ist das ein quadratischer Felsen?«, fragt Keller, »oder ein quadratisches
Haus,mit Steindach?«
»Wer deckt denn ein Dach mit Steinen?«, fragt Wallace.
»Jemand, der es tarnen will«, sagt Keller.
Sie zoomen zurück zu einem größeren Ausschnitt und finden noch mehr
schnurgerade verlaufende Schattenlinien. Nach einer Weile machen sie ein
größeres und ein kleineres Gebäude aus, daneben noch einige kleine, unter denen
sich Autos verbergen könnten.
Sie übertragen die Koordinaten auf die große Karte. Das Anwesen liegt
abseits des Fahrwegs zur Küstenstraße, vierzig Kilometer südlich von San
Felipe.
Fünf Stunden später kämpft sich ein Fischerboot aus Puertocitos bei
starkem Gegenwind in Richtung Norden. Es ankert zweihundert Meter vor der
Küste, wirft die Angeln aus und wartet auf die Dunkelheit. Dann legt sich einer
der Fischer aufs Deck und richtet sein Infrarot-Teleskop auf den Strand im
Bereich der zwei Steinhäuser.
Er sieht eine Frau mit weißem Kleid, die mit unsicheren Schritten zum
Strand hinuntergeht.
Sie hat langes, blondes Haar.
Keller legt auf, lässt den Kopf in die Hände sinken und stößt einen
tiefen Seufzer aus. Als er wieder aufblickt, strahlt er. »Wir haben sie.«
»Du meinst, wir haben ihn?«, fragt Wallace. »Bringen wir hier nichts durcheinander? Es geht doch um Barrera, oder?«
Fabián Martínez sitzt noch
immer in der Zelle, aber seine Stimmung ist bedeutend besser.
Er hatte eine Unterredung mit seinem Anwalt, der ihn in allen Punkten
beruhigen konnte. Wegen der Drogenvorwürfe habe er nichts zu befürchten - der
als Zeuge benannte Regierungsvertreter werde nicht erscheinen und gewisse
Leute seien über die Verräterin informiert worden.
Nur der Waffenschmuggel bleibt ein Problem, aber keins, das sich nicht
lösen ließe.
»Wir versuchen, Sie nach Mexiko ausliefern zu lassen. Wegen der Mordsache Parada. «
»Wollen Sie mich verarschen?«
»Erstens«, sagte der Anwalt, »gibt es in Mexiko keine Todesstrafe.
Zweitens dauert es Jahre, bis es zum Prozess kommt, und bis dahin...«
Er musste nicht weiterreden. Martínez verstand, was er meinte. Bis dahin kann man die
Dinge regeln. Es ergeben sich strittige Punkte, Ankläger erlahmen in ihrem
Eifer, Richter werden mit Ferienhäusern beglückt.
Martínez räkelt sich
wohlig auf der Matratze und macht sich warme Gedanken. Fick dich, Keller! Ohne
Nora hast du nichts in der Hand. Und fick dich, Nora! Ich wünsche dir einen
wunderschönen Abend.
Sie gönnen ihr keinen Schlaf.
Am Anfang sollte sie immer nur schlafen, und jetzt darf sie die Augen
nicht mehr zumachen. Sie darf sich hinsetzen, aber wenn sie einschläft, wird
sie bei den Armen gepackt und muss wieder aufstehen.
Alles tut ihr weh.
Füße, Beine, Rücken, Kopf.
Und die Augen, am schlimmsten die Augen.
Sie brennen wie Feuer, fühlen sich entzündet an. Nora würde alles drum
geben, wenn sie sich hinlegen und die Augen schließen könnte. Oder sitzen oder
stehen - aber die Augen schließen.
Sie lassen sie nicht.
Und sie geben ihr kein Tuinol mehr.
Sie will das Zeug nicht, sie braucht es.
Sonst wird sie das schreckliche Prickeln unter der Haut nicht mehr los,
und ihre Hände hören nicht auf zu zittern. Dazu noch die hämmernden
Kopfschmerzen und die Übelkeit und ...
»Nur eine«, jammert sie.
»Sie
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