Winslow, Don
Litern pro Hektar.
»Das Fünffache der Maximaldosis?«, fragt Keller bei Hobbs nach.
»Wir gehen der Sache nach«, sagt Hobbs.
Der Mann ist alt geworden, denkt Keller. Klar, ich auch, aber Hobbs sieht
uralt aus. Sein weißes Haar wirkt dünner, seine Haut fast durchsichtig, seine
blauen Augen haben noch Schärfe, weilen aber schon irgendwie im Jenseits. Und
er trägt ein Jackett, obwohl sie hier im Dschungel sind, bei drückender Hitze.
Er scheint ständig zu frieren, denkt Keller. Wie das eben bei alten Leuten und
bei Sterbenden so ist.
»Nein«, sagt Keller. »Ich gehe der Sache nach. Das Fünffache der Maximaldosis an Glyphosat, und dann
wird noch Cosmo-Flux beigemischt? Was wollen Sie hier vergiften? Eine
Kokain-Ernte oder die ganze Gegend?«
Dies hier ist kein Krieg gegen die Drogen, vermutet er, sondern ein Krieg
gegen die linke Guerilla - die im Dschungel lebt und kämpft.
Wenn man also den Dschungel entlaubt...
Während die Militärs ihre »Erfolge« demonstrieren - Tausende Hektar
verdorrter Coca-Pflanzen, nervt Keller sie mit seinen bohrenden Fragen: Werden
nur Coca-Ernten oder auch Anbauflächen für Bohnen, Bananen, Mais, Maniok
vernichtet? Nein, stimmt nicht? Aber was ich hier sehe, sieht mir eher aus wie
Mais. Ist das nicht ein Grundnahrungsmittel in dieser Gegend? Wovon ernähren
sich die Leute, wenn ihre Felder vernichtet werden?
Hier ist nicht Sinaloa, sagt sich Keller. Hier gibt es keine Drogenbarone,
denen Tausende Hektar Land gehören. Das meiste Kokain wird von den kleinen Campesinos angebaut, auf
höchstens mal einem Hektar. Wo die FARC regiert, werden sie von der FARC besteuert, wo die AUC regiert, werden sie von der AUC besteuert. Am
schlimmsten aber sind die Campesinos dran, die zwischen den Fronten leben - die werden
von beiden Seiten besteuert.
Als er die Sprühflugzeuge fliegen sieht, fragt er: Wie hoch fliegen die?
Sind das dreißig Meter? Die Richtlinien von Monsanto besagen, dass sie nicht
höher als drei Meter fliegen sollen. Fliegen sie höher, steigt das Risiko, dass
sich die Giftwolke großflächig ausbreitet.
»Das sehen Sie völlig falsch«, erklärt ihm Hobbs.
»Ach wirklich?«, erwidert Keller. »Ich verlange, dass die
Trinkwasserqualität in mehreren Dörfern dieser Gegend chemisch überprüft
wird.«
Er zwingt den Konvoi zum Besuch eines Flüchtlingslagers, wo sich Campesinos sammeln, deren
Felder vernichtet wurden. Es ist kaum mehr als eine Lichtung im Dschungel,
hastig errichtete Hütten aus Schlackesteinen mit Blechdächern. Er besteht auch
auf einem Besuch der Krankenstation, wo ihnen ein Missionar die Kinder mit
genau den Symptomen zeigt, die Keller befürchtet hat - chronischer Durchfall,
Hautausschläge, Atemprobleme.
»1,7 Milliarden Dollar, um Kinder zu vergiften?«, sagt Keller zu Hobbs, als sie
zum Jeep zurücklaufen.
»Wir befinden uns hier im Krieg«, sagt Hobbs. »Da dürfen wir nicht wanken.
Und es ist auch Ihr Krieg, Arthur. Darf ich Sie daran erinnern, dass Leute wie Adán Barrera nur durch das
Kokain so stark geworden sind? Dass die Morde von El Sauzal mit
Drogengeldern finanziert wurden?«
Daran muss er mich nicht erinnern, denkt Keller.
Und wo Barrera steckt, weiß keiner. Sechs Monate nach dem Einsatz am Strandhaus und dem
nachfolgenden Massaker von El Sauzal ist er noch immer auf der Flucht. Die US-Regierung
hat zwei Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt, aber bis jetzt hat sich
keiner gemeldet, der Anspruch darauf erhebt.
Wer will auch Geld, dessen Übergabe er nicht erlebt?
Nach einer Stunde Fahrt erreichen sie ein Dorf, das völlig ver lassen ist.
Keine Menschen, nicht mal Schweine, Hühner, Hunde. Nichts.
Alle Hütten sehen unversehrt aus, nur ein großes Gebäude - der
Lebensmittelspeicher der Gemeinde, wie es scheint - ist völlig ausgebrannt.
Eine Geisterstadt.
»Wo sind die Bewohner?«, fragt Keller seinen Begleiter.
Javier zuckt die Schultern, worauf er sich an den zuständigen Offizier
wendet.
»Verschwunden«, antwortet der. »Wahrscheinlich vor der FARC geflohen.«
»Und wohin?«
Jetzt zuckt der Offizier die Schultern.
Sie übernachten auf einem kleinen Armeestützpunkt nördlich des Orts. Nach
den Steaks vom Benzingrill verabschiedet sich Keller von der Gruppe, um
schlafen zu gehen, wie er sagt, doch er will sich noch ein wenig umsehen.
Kennst du einen, kennst du alle, denkt er, ob in Vietnam oder Kolumbien.
Eine Urwaldlichtung, gerodet und planiert, mit Stacheldraht umzäunt,
ringsherum ein
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