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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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zum Abendessen.«
    »Schade.«
    »Ja, schade.
Gib den Kindern einen Gutenachtkuss von mir.«
    »Mache ich. Hab
dich lieb!«
    »Ich dich
auch.«
    Jeder Mensch hat einen Schwachpunkt, denkt Keller, ein Geheimnis, das ihn
verletzlich macht. Ich muss es aufdecken. Mein Geheimnis kenne ich. Aber
welches ist deins, Tío?
     
    Keller schafft es nicht, nach Hause zu kommen, nicht in dieser Nacht, auch
nicht in den nächsten fünf Nächten.
    Ich bin wie auf Entzug, denkt er. Von trockenen Alkoholikern hat er
gehört, wie das läuft - wie sie zum Laden gefahren sind und sich geschworen haben,
sie würden nicht hineingehen, dann geschworen haben, sie würden nichts kaufen,
dann geschworen haben, sie würden das Zeug nicht trinken.
    Und es dann getrunken haben.
    So einer bin ich auch, denkt Keller. Ich klebe an Tío wie ein Trinker
an der Flasche.
    Statt also nach Hause zu fahren, parkt er auf dem Boulevard, ein gutes
Stück entfernt von Tíos Autosalon, und beobachtet die Einfahrt im Rückspiegel. Tío muss eine Menge
Autos verkaufen, denn er arbeitet bis acht oder halb neun am Abend, dann steigt
er in sein Auto und fährt nach Hause. Keller wartet am Ende der Straße, der
einzigen Zufahrt zu Tíos Haus, bis weit in die Nacht, aber Tío zeigt sich nicht.
    Endlich, am sechsten Abend, hat Keller mehr Glück.
    Tío verlässt den
Autosalon um halb sieben und fährt nicht nach Hause, sondern zurück in die
Stadt. Mit Mühe gelingt es ihm, dem Wagen im Abstand zu folgen, durch den
dichten Verkehr des Centro
Histórico, bis er vor einem Tapas-Lokal hält.
    Zwei Federales, zwei Provinzpolizisten und ein paar Kerle, die aussehen
wie DFS-Agenten, stehen draußen Wache, und ein Schild an der Tür verkündet CERRADO - geschlossen.
Einer von den Federales hält Tío die Wagentür auf, der andere bringt den Wagen weg
wie ein Hotelboy. Einer von den Provinzpolizisten hält Tío die Tür zum Lokal
auf, der andere geht auf Kellers Auto zu und winkt ihn weiter.
    Keller öffnet das Seitenfenster. »Ich wollte hier was essen.«
    »Privatparty.«
    Ja, vermute ich auch, denkt Keller.
    Er parkt das Auto zwei Straßen weiter, greift nach der Nikon mit dem Dreihunderter-Objektiv
und steckt sie unter den Mantel. Dann überquert er die Straße, geht ein Stück
weiter, biegt links ein und läuft durch die Parallelstraße zurück, so weit, bis
er schätzt, auf der Rückseite des Hauses zu stehen, das dem Tapas-Lokal gegenüberliegt.
Mit einem Luftsprung erwischt er die Feuerleiter und zieht sie nach unten.
Dann klettert er hoch, drei Etagen, bis aufs Dach.
    Für Regionalchefs der DEA ist das nicht der richtige Job. Die sollen im Büro
sitzen und die Zusammenarbeit mit den mexikanischen Behörden pflegen. Aber
wenn ich sehe, wie sehr meine mexikanischen Kollegen bemüht sind, mein
Zielobjekt vor mir zu verstecken, kommen mir ernstliche Zweifel am Nutzen
dieser Zusammenarbeit, denkt sich Keller.
    Geduckt überquert er das Dach bis zum Mäuerchen am vorderen Rand und legt
sich flach hin. Observieren bedeutet Arbeit - auch für die chemische Reinigung,
denkt er sich auf dem schmutzigen Dach. Er stellt die Kamera aufs Mäuerchen
und fokussiert sie auf das Lokal. Und du kannst das nicht mal als Spesen abrechnen.
    Jetzt heißt es warten, denkt er sich, doch es dauert nicht lange, bis sich
ein ganzer Wagenkonvoi vor Talaveras Tapas aufreiht. Und der Ablauf ist jedes Mal derselbe:
Die Provinzpolizisten stehen Wache, während die Federales die Lakaienrolle
übernehmen und einen Drogenboss nach dem anderen ins Lokal geleiten.
    Wie eine Hollywood-Premiere, denkt Keller.
    García Ábrego, der Chef des
Golf-Kartells, steigt aus seinem Mercedes und
sieht sehr würdig aus mit seinem Silberhaar, dem sorgfältig gestutzten
Schnurrbart und dem grauen Maßanzug. Gúero
Méndez, Chef des Baja-Kartells, wirkt dagegen
wie ein Cowboy. Langes blondes Haar unter dem weißen Cowboyhut - daher sein
Spitzname Gúero -, dazu ein schwarzes, bis zur Taille offenes Seidenhemd, schwarze
Seidenhose, spitze schwarze Cowboystiefel mit Silberkappen. Und in Chalino Guzmán erkennt man den
Bauern, der er ist - ein altes, schlecht sitzendes Jackett, eine Hose, die
nicht dazu passt, grüne Stiefel.
    Mein Gott, das sieht ja aus wie ein ausgewachsenes Mafia-Treffen, staunt
Keller, nur dass sich diese Jungs wegen der Polizeipräsenz nicht allzu viele
Sorgen machen. Als würden sich die Paten des Cimino-, Genovese- und
Colombo-Clans zu einem Gipfeltreffen vereinigen und das Ganze vom FBI

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