Winslow, Don
auch wirklich ein paar vorwitzige Zweige ab, während er seine Erkundigungen
einzieht, sich die Farbe des Außenanstrichs merkt, den Verlauf der
Telefonleitung, die Lage der Fenster, des Pools, der Nebengebäude.
Eine Woche später, er hat inzwischen Bastlerläden besucht, einen
Technikversand in San Diego angerufen, kommt er ein drittes Mal, wieder im
Overall, und stutzt ein paar weitere Zweige, bis er sich zu den Büschen
vorgearbeitet hat, die das Schlafzimmerfenster vor zudringlichen Blicken
schützen. Dorthin zieht es ihn - nicht aus erotischer Neugier, diesen Teil der
Veranstaltung möchte er sich lieber ersparen -, sondern weil die Telefonleitung
ins Schlafzimmer führt. Mit einem kleinen Schraubenzieher bohrt er, behutsam
wie ein Chirurg, ein Loch in die Eckfuge des Fensters, direkt über dem
Fensterblech aus Aluminium. Dann schiebt er eine winzige FX-i0i-Wanze in das
Loch, holt eine Tube Dichtungsmasse aus der Tasche und verschließt das Loch.
Darauf öffnet er das Fläschchen mit grüner Farbe, die annähernd der Farbe des
Anstrichs entspricht, und übermalt die Dichtungsmasse mit einem kleinen Pinsel,
wie man ihn zum Lackieren von Modellflugzeugen benutzt. Vorsichtig bläst er die
Farbe trocken, dann geht er auf Abstand, um seine Arbeit zu begutachten.
Die Wanze, illegal und ungenehmigt, ist von geübten Augen nicht zu entdecken.
FX-ioi zeichnet jedes Geräusch im Umkreis von zehn Metern auf und sendet
es sechzig Meter weit, so dass für Keller ein ausreichender Aktionsradius
verbleibt. Er geht hinaus auf die Straße, hebt den Gullydeckel an und
befestigt den Empfänger und das stimmaktivierte Tonbandgerät mit Klebeband an
der Schachtwand. So kann er eben mal vorbeikommen und eine neue Kassette
einlegen.
Es ist ein Versuch auf gut Glück, aber er braucht ein paar Treffer. Tío wird das Haus
vor allem für seine Nächte mit Pilar nutzen, aber er wird auch telefonieren,
vielleicht auch mal Besucher empfangen. Selbst der umsichtigste Kriminelle kann
Privates und Geschäftliches nicht immer trennen, wie Keller weiß.
Ich auch nicht, gesteht er sich ein.
Er belügt Ernie und Shag.
Neuerdings gehen sie zu dritt joggen, angeblich, um fit zu bleiben, in
Wirklichkeit, um Dinge zu bereden, die sie im Büro nicht bereden können. Es ist
schwer, ein bewegtes Ziel zu belauschen, besonders auf den großen Plätzen der
Altstadt von Guadalajara, also steigen sie jeden Tag vor dem Lunch in ihre
Sportsachen und drehen eine Runde.
»Ich habe einen VI«, erzählt ihnen Keller - einen vertraulichen
Informanten.
Dass er sie belügt, macht ihm ein wenig zu schaffen, aber es dient ihrem
eigenen Schutz. Wenn diese Sache schiefläuft, und das ist fast zu erwarten,
will er alles auf die eigene Kappe nehmen. Seine Jungs dürfen nicht erfahren,
dass er illegale Abhörmethoden einsetzt, denn laut Vorschrift sind sie
verpflichtet, solche Verstöße zu melden. Und eine Verletzung der Meldepflicht
könnte ihre Karriere zerstören. Er weiß, dass sie ihn niemals verpfeifen
würden, also erfindet er einen VI.
Einen imaginären Freund, denkt Keller. Das passt ja auch ins Bild. Ein
nichtexistentes Drogenkartell, nichtexistentes Kokain, eine nichtexistente
Quelle und so weiter ...
»Ist ja toll«, sagt Ernie. »Wer-«
»Sorry«, sagt Keller. »Ich bin noch ganz am Anfang. Wir daten nur.«
Sie nicken verständig. Ein Informant muss umworben werden wie eine Frau.
Man arbeitet mit Flirt, Versuchung, Verführung. Man kauft ihm Geschenke,
erzählt ihm, wie sehr man ihn braucht, dass man ohne ihn nicht leben kann. Und
wenn man ihn tatsächlich ins Bett kriegt, erzählt man es keinem - erst recht
nicht den Jungs, mit denen man joggen geht.
Zumindest nicht, bevor die Sache perfekt ist. Und wenn es sich allgemein
herumspricht, ist es sowieso meist vorbei.
Kellers Arbeitstag sieht jetzt so aus: Er sitzt seine Stunden im Büro ab,
fährt nach Hause, verlässt das Haus in der Nacht, holt die tägliche
Bandaufzeichnung und wertet sie in seinem Arbeitszimmer aus.
Und das zwei Wochen lang ohne Erfolg.
Was er zu hören bekommt, ist Liebesgeflüster und handfester Sex-Talk,
während Tío seine junge Geliebte in die tieferen Geheimnisse des Eros einführt.
Keller spult das meiste weg, der flüchtige Eindruck reicht ihm.
Pilar Talavera ist Tíos gelehrige Schülerin, während er ihre Liebeskunst um
einige interessante Kniffe bereichert. Interessant sind die allerdings nur,
wenn man auf so etwas steht, was Keller nicht von sich
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