Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
kannte er sich aus; auf diesem Gebiet war er Experte. Das hatte die Anspannung von ihm genommen – genau wie Daisy es sich erhofft hatte.
Sie hatte Charlie am Morgen angerufen. »Ich bin völlig verzweifelt!«, hatte sie gesagt. »Ich habe einen neuen Hund und komme nicht mit ihm zurecht. Kannst du mir einen Rat geben?«
»Was für eine Rasse?«
»Jack Russell.«
»Oh! Die mag ich am liebsten. Ich habe drei davon.«
»Was für ein Zufall!«
Wie Daisy es sich erhofft hatte, erklärte Charlie sich bereit, herüberzukommen und ihr beim Abrichten des Hundes zu helfen.
»Glaubst du wirklich, Charlie ist der Richtige für dich?«, hatte Eva voller Zweifel gefragt, und Daisy hatte erwidert: »Soll das ein Witz sein? Er ist einer der begehrtesten Junggesellen in Buffalo!«
Jetzt sagte sie zu Charlie: »Ich wette, mit Kindern kannst du auch sehr gut umgehen.«
»Hm, das weiß ich nicht.«
»Du magst Hunde, bist aber streng zu ihnen. Bei Kindern bist du genauso, nicht wahr?«
»Kann ich nicht sagen.« Charlie wechselte das Thema. »Hast du vor, ab September das College zu besuchen?«
»Vielleicht gehe ich nach Oakdale. Da gibt es ein Zweijahresprogramm für Frauen. Es sei denn …«
»Es sei denn was?«
Es sei denn, ich heirate vorher, lag es Daisy auf der Zunge. Stattdessen sagte sie: »Ich weiß nicht … Es sei denn, es passiert etwa anderes.«
»Zum Beispiel?«
»Ich würde gern England sehen. Mein Vater war in London und wurde dem Prince of Wales vorgestellt. Was ist mit dir? Hast du Pläne?«
»Eigentlich sollte ich in Vaters Bank eintreten, aber die gibt es ja nicht mehr. Mutter hat ein bisschen Geld von ihrer Familie, das ich verwalte, aber davon abgesehen bin ich so etwas wie das fünfte Rad am Wagen.«
»Du solltest Pferde züchten«, sagte Daisy. »Ich weiß genau, dass du ein großartiger Pferdezüchter wärst.« Sie war eine gute Reiterin und hatte mehrere Pokale gewonnen. Nun malte sie sich aus, wie sie und Charlie auf zueinander passenden Grauschimmeln durch den Park ritten, gefolgt von zwei Kindern auf Ponys. Bei der Vorstellung wurde ihr ganz warm ums Herz.
»Ich mag Pferde«, sagte Charlie.
»Ich auch. Ach, ich möchte so gern Rennpferde züchten!« Diesmal brauchte Daisy ihre Begeisterung nicht vorzutäuschen. Ihr großer Traum war, eine Zuchtlinie von Champions zu begründen. Rennstallbesitzer waren in Daisys Augen die absolute internationale Elite.
»Vollblüter kosten einen Haufen Geld«, wandte Charlie ein.
Geld? Davon besaß sie jede Menge. Wenn Charlie sie heiratete, brauchte er sich über Geld nie mehr Gedanken zu machen. Natürlich sprach sie es nicht aus, aber sie vermutete, dass Charlie in diesem Moment genau daran dachte. Deshalb ließ sie den Gedanken so lange wie möglich unausgesprochen zwischen ihnen stehen.
Schließlich fragte Charlie: »Hat dein Vater wirklich diese beiden Gewerkschafter zusammenschlagen lassen?«
»Was für ein absurder Gedanke!« Daisy wusste es nicht, aber wenn sie ehrlich war, hätte es sie nicht überrascht.
»Die Männer waren aus New York gekommen, um den Streik zu leiten«, fuhr Charlie fort. »Sie wurden krankenhausreif geprügelt. Im Sentinel steht, sie hätten Streit mit hiesigen Gewerkschaftsführern gehabt, aber jeder hält deinen Vater für den Drahtzieher.«
»Ich rede nie über Politik«, sagte Daisy kühl. »Wann hast du eigentlich deinen ersten Hund bekommen?«
Charlie erzählte eine lange Geschichte. Daisy überlegte sich währenddessen ihren nächsten Schritt. Ich habe ihn hier, in Reichweite, sagte sie sich, jetzt muss ich ihn nur noch scharf auf mich machen. Charlie war vorhin schon zappelig geworden, als sie den Hund mit lasziven Bewegungen gestreichelt hatte. Was sie jetzt brauchten, war ein bisschen zufälliger Körperkontakt.
»Was soll ich mit Rusty als Nächstes tun?«, fragte sie, als Charlie mit seiner Geschichte fertig war.
»Du musst ihm beibringen, bei Fuß zu gehen«, sagte Charlie.
»Wie geht das?«
»Hast du Hundekuchen da?«
»Klar.« Die Küchenfenster standen offen, und Daisy hob die Stimme, damit das Hausmädchen sie hören konnte. »Ella? Wären Sie so freundlich, mir den Karton Milk-Bones zu bringen?«
Nachdem Ella den Hundekuchen gebracht hatte, zerbrach Charlie einen davon. Dann nahm er den Hund auf den Schoß, hielt ein Stückchen Milk-Bone in der geschlossenen Hand, ließ Rusty daran schnüffeln, öffnete die Faust und erlaubte dem Hündchen,den Happen zu verschlingen. Dann nahm er wieder ein
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