Winter der Zärtlichkeit
hinunter zurück in die Speisekammer. Dort schob sie die Plätzchendose zur Seite, betrachtete die Whiskeyflasche dahinter, schnaubte einmal verächtlich und nahm stattdessen das eingelegte Hühnerfleisch vom Regal. Dieses Huhn war eine Kostbarkeit. Sie hatte es für ein Festmahl aufgehoben, damit sie keins ihrer Eier legenden Hühner schlachten musste, doch jetzt würde daraus eine gute, nahrhafte Suppe werden.
Nachdem sie noch Zwiebeln, Reis und einige ihrer wertvollen Gewürze zusammengesucht hatte, die ebenso kostbar waren wie das eingemachte Fleisch, wenn man bedachte, wie viel sie kosteten, kochte sie eine Suppe.
Dass Doss nur eine Stunde später mit einem Mann zurückkam, den sie als einen der Rancharbeiter von Rafe wiedererkannte, überraschte sie sehr. Mit gerunzelter Stirn sah sie durchs Fenster, wie Doss absprang und es dem anderen Mann überließ, die beiden Pferde in den Stall zu bringen.
Merkwürdig. Doss war also noch gar nicht in Indian Rock gewesen, warum ließ er dann sein Pferd absatteln?
Verwirrt, ungeduldig und ein wenig verärgert erwartete Hannah ihn an der Tür.
„Pack den Jungen warm ein“, sagte er ohne große Vorrede. „Willie wird hierbleiben und sich um die Pferde und das Haus kümmern. Sobald ich die Pferde angespannt habe, werden wir mit dem Schlitten nach Indian Rock fahren.“
„Schlägst du etwa vor, dass wir mit Tobias den ganzen Weg nach Indian Rock fahren?“
„Ich schlage überhaupt nichts vor, Hannah“, versetzte Doss. „Ich habe Seth Baker unten beim Haupthaus getroffen, als ich gerade den Bach überqueren wollte. Er fragte mich, was ich vorhabe. Ich sagte ihm, dass ich Doc Willaby holen wollte, weil es Tobias nicht gut geht. Seth meinte, Willaby hätte einen Gichtanfall, aber sein Neffe wäre zufällig in der Stadt, aber sicher nicht bereit, den ganzen Weg hier heraufzukommen.“ Hannahs Hals wurde so eng, dass sie eine Hand darauflegte. „So eine Fahrt könnte Tobias’ Tod bedeuten.“
„Wir können nicht einfach hier herumsitzen. Zieh den Jungen an, oder ich kümmere mich selbst darum.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass Tobias mein Sohn ist?“ „Er ist ein McKettrick“, entgegnete Doss steif, als ob die Diskussion damit beendet wäre - und für ihn war sie das wohl auch.
8. KAPITEL
Heute
T ravis wartete, bis Sierra auf ihrem Stuhl in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Von einer Krankenschwester ließ er sich eine Decke geben, hüllte sie darin ein und ging.
Ein paar Minuten später saß er hinter dem Steuer seines Trucks.
Die Straßen waren spiegelglatt, und der Himmel war grau, die Wolken schwer beladen mit frischem Schnee. Mithilfe seines Navigationssystems fand er den nächstgelegenen Wal- Mart, parkte so nah am Laden, wie er konnte, und ging hinein.
Obwohl er es hasste einzukaufen, schob er den Einkaufswagen durch die Gänge und warf alles hinein, was Sierra und Liam brauchen würden, falls der Aufenthalt in Flagstaff doch länger als erwartet dauerte. Er selbst würde die Nacht in seiner Wohnung in Flagstaff verbringen, ein paar Meilen vom Krankenhaus entfernt, wo er duschen und sich umziehen konnte.
Als er zurückkam - ein Januarweihnachtsmann, beladen mit riesigen blauen Plastiktüten -, waren Sierra und Liam wach. Ein riesengroßer Teddybär mit einem Gasballon in der Hand saß auf dem Nachttisch. Auf dem Ballon stand in dicken roten Buchstaben: „Werd schnell gesund!“
„Eve?“ Travis deutete mit dem Kinn auf den Bären.
„Eve“, bestätigte Sierra und betrachtete die Tüten. „Was haben Sie da?“
Travis grinste, obwohl er sich schlagartig so müde fühlte, als ob selbst zehn Tassen Kaffee ihn nicht wachhalten könnten. Vielleicht lag es an der Wärme im Krankenhaus.
„Ein bisschen was für jeden“, erwiderte er.
Liam saß aufrecht und musste das Atemgerät nicht mehr benutzen. „Auch für mich?“ Seine Stimme klang heiser, doch er lächelte. Travis verspürte einen Stich. Der Junge war so klein und so tapfer.
„Vor allem für dich.“ Er reichte dem Jungen eine der Tüten und sah ihm zu, wie er einen tragbaren DVD-Player und die N o va -Episoden auspackte.
„Wow“, strahlte Liam. „So einen wollte ich schon immer.“
Sierra sah besorgt aus. „Der ist viel zu teuer“, sagte sie. „Das können wir nicht annehmen.“
Da drückte Liam den verpackten DVD-Player fest gegen seine schmale Brust, als wollte er demonstrieren, dass er ihn nie wieder herausrücken würde.
Travis ignorierte Sierras Worte
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