Winter der Zärtlichkeit
Finger um den Schlüssel schloss. „Ganz zu schweigen davon, dass sie eine echte Beleidigung für das Auge ist“, erwiderte sie ein wenig scharf, aber mit einem halben Lächeln.
„Das hast du gesagt“, entgegnete Eve strahlend, „nicht ich.“ „Doch, hast du“, konterte Liam. „Oben im Zimmer hast du gesagt ...“
Vor der Tür hupte Travis.
Zum Abschied strich Eve über das ordentlich gekämmte Haar ihres Enkels. „Gib deiner alten Granny einen Kuss“, sagte sie. „Ich komme in ein paar Wochen zurück, und wenn dann das Wetter gut ist, hast du vielleicht Lust, eine Runde im Firmenjet zu fliegen.“
Bei dieser Aussicht jauchzte Liam laut auf.
Sierra hatte keine Möglichkeit zu protestieren, denn im selben Moment klopfte Travis an die Hintertür, trat ein und nahm Eves Koffer. Er nickte Sierra zu und grinste Liam an.
„Hey, Cowboy“, lächelte er. „Siehst gut aus.“
Liam warf sich in Pose, um seinen neuen Mantel zu präsentieren. „Den Hut wollte ich auch tragen. Aber Mom meinte, ich würde ihn vielleicht in der Schule vergessen.“
„Die Welt“, entgegnete Travis mit einem langen Blick auf Sierra, „ist voller Hüte.“
„Was soll das denn heißen?“ Sofort fühlte sie sich von ihm angegriffen.
Travis seufzte. Dann wechselte er einen Blick mit Eve, drehte sich einfach um und ging ohne ein Wort zu seinem Truck.
Eve umarmte Liam, dann Sierra und ging.
Kurz darauf musterte Sierra in der Garage misstrauisch den glänzend roten Blazer ihrer Schwester. Liam streckte sich, um den Knopf an der Wand zu erreichen, woraufhin das Garagentor ratternd aufging.
Ihr Kombi parkte draußen, und Sierra schimpfte leise, während sie den Motor startete und vorsichtig an der Beleidigung fürs Auge vorbeilenkte.
1919
Trotz der bitteren Kälte saß Hannah zwei Tage nach der Hochzeit im Schlitten so weit wie möglich von Doss entfernt, Tobias kuschelte sich zwischen sie.
Sie war verheiratet.
Jedes Mal, wenn ihre Gedanken in diese Richtung gingen, erschrak sie zutiefst, immer wieder aufs Neue überrascht.
Sie war eine Ehefrau - aber sie fühlte sich nicht wie eine.
Doss schwieg fast die ganze Fahrt über. Ab und zu spürte sie seinen Blick auf sich ruhen, aber immer wenn sie zu ihm sah, starrte er auf den verschneiten Weg vor sich. Auf der Ranch angekommen, wünschte Hannah sich nichts mehr, als einfach ins Bett zu krabbeln, die Decke über den Kopf zu ziehen und dort zu bleiben, bis sich irgendetwas geändert hatte.
Doch das war ein Luxus, den Farmersfrauen sich nicht leisten konnten.
Umsichtig lenkte Doss die Pferde und den Schlitten nah ans Haus, hob den halb schlafenden Tobias aus seinem Sitz und trug ihn hinein. Hannah stieg selbst aus, trug ihre Tasche, das Pflanzenbuch sicher zwischen der Wäsche verwahrt, und folgte ihm entschlossen.
Die Küche war eiskalt.
Nachdem er an dem Draht der Glühbirne in der Mitte des Raumes gezogen hatte, steuerte Doss mit Tobias auf die Treppe zu.
Hannah widerstand dem Wunsch, das Licht sofort wieder auszuschalten, stellte die Tasche ab und entfachte ein Feuer im Herd. Sie beschloss, Eier aus dem über dem Brunnen erbauten Kühlhaus zu holen. Vorausgesetzt, Willie hatte während ihrer Abwesenheit welche eingesammelt, könnte sie ein Omelette fürs Abendessen zubereiten. Dazu sollte es Würste geben, die sie letzten Herbst gemacht hatte, dunkle Soße und Brot.
„Ich schaue nach den Pferden“, sagte Doss, als er zurück- kam.
„Wo ist wohl Willie gerade?“, überlegte sie. Bisher hatte sie ihn nicht gesehen und sorgte sich um ihre Hühner und die anderen Tiere im Stall. Wie viele Arbeiter war Willie ein Vagabund und konnte es sich jeden Moment in den Kopf setzen weiterzuziehen.
„Ich habe ihn gesehen, als wir ankamen.“ Doss öffnete die Tür. „Vor der Schlafbaracke beim Holzhacken.“
Am liebsten hätte sie Doss gesagt, er solle in der Küche bleiben, wo es warm war, und dass in ein paar Minuten der Kaffee fertig wäre. Aber das wäre vergebene Liebesmüh. Er war durch und durch ein Rancher, und das bedeutete, dass er sich immer zuallererst um das Vieh und die Pferde kümmerte und erst danach um sich selbst.
„Abendessen ist in einer halben Stunde fertig“, verkündete sie, als wäre sie die Wirtin einer Pension und er ein zahlender Gast, der nur kurz blieb. „Willie kann gern mitessen, wenn er mag.“
Doss nickte, schlug den Mantelkragen über die Ohren und ging hinaus.
Etwas später kehrte er allein zurück. Das Omelette wartete
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