Winterfest
hatte. Die Stadt präsentierte sich als moderne kosmopolitische Metropole und erinnerte in mancherlei Hinsicht an Kopenhagen oder Paris. Sie bestand aus einer Mischung von belebten Geschäftsstraßen, pittoresken Plätzen und kleinen Gassen. Exklusive Shoppingcenter, Boutiquen, Straßencafés und Geschäfte mit Designermode reihten sich aneinander. Überall war es sauber und ordentlich.
Martin Ahlberg zeigte ihm eine Kathedrale mit frei stehendem Glockenturm und eine Burg auf einem Hügel hinter der Stadt, Sehenswürdigkeiten, die er bei seinem letzten Aufenthalt in Vilnius besucht hatte.
Der Fahrer nickte und lächelte, ohne wirklich zu verstehen, was gesprochen wurde.
Das Hotel Astorija lag auf der anderen Seite der Stadt im alten Teil von Vilnius. Auf ihrer Fahrt dorthin löste Kopfsteinpflaster den Asphalt ab und die Straßen zwischen den Häusern wurden enger. Viele der alten Gebäude schienen frisch renoviert zu sein, nachdem sie in der kommunistischen Zeit heruntergekommen waren, und der Stadtteil wirkte stimmungsvoll und charmant.
Sie bekamen benachbarte Zimmer im vierten Stock, mit Aussicht auf das, was die Hauptstraße der Altstadt sein musste. Wistings Zimmer verfügte über einen kleinen Balkon. Er trat hinaus und umklammerte das schmiedeeiserne Geländer.
Der Himmel war immer noch grau und ein kalter Wind pfiff um die hohen Häuser, aber in den Straßencafés saßen mehrere Gäste entspannt zurückgelehnt mit Kaffeetassen und Weingläsern. Unzählige Souvenirgeschäfte lockten mit Bernsteinschmuck, Holzgegenständen, Strickkleidern und Matroschkapuppen.
Von dort, wo er stand, konnte er elf Kirchtürme über den Häuserdächern zählen. Sie zeugten davon, dass die Litauer ein tief religiöses Volk waren, was vollkommen im Kontrast stand zu Wistings Auffassung von ihnen als umherreisende Kriminelle.
Vor dem Abendessen rief er Nils Hammer an. Hammer hatte nichts Neues über die geheimen Ermittlungen zu berichten, aber Wisting hörte seiner Stimme an, dass er über irgendetwas verunsichert war.
Vermutlich hatte er den Verkehr durch die Mautstationen abschließend analysiert und das Auto von Line entdeckt. Seine Kollegen wussten gut Bescheid über ihre Beziehung zu Tommy Kvanter und über Tommys Vergangenheit. Noch vor wenigen Jahren war sein Name in einigen Polizeiberichten aufgetaucht, aber es war lange her, dass gegen ihn ermittelt worden war.
»Da ist etwas, worüber wir noch nicht gesprochen haben«, sagte Wisting. »Tommy Kvanter ist einer der Besitzer und Inhaber des Shazam Station .«
»Ich weiß«, erwiderte Hammer. »Aber so weit ich verstanden habe, ist es aus zwischen ihm und Line?«
»Ja, es ist Schluss«, bestätigte Wisting. »Aber ich möchte, dass du mir sagst, falls sein Name auftaucht.«
»Gibt es Grund, das anzunehmen?«, wollte Hammer wissen.
»Nein, im Gegenteil«, sagte Wisting und berichtete von seinem Treffen mit Leif Malm. »Die Quelle meint, dass Rudi Muller persönlich in Larvik war, um das Kokain abzuholen.«
»Wissen sie, welches Auto er benutzt hat?«
»Nein, aber sie wollen das Material von den Mautstationen haben, damit sie prüfen können, ob ihnen etwas bekannt vorkommt.«
»Meinetwegen gerne«, sagte Hammer. »Ich schicke es hin.«
Wisting verschwieg, dass er die Listen durchgegangen war und Lines Auto entdeckt hatte. Er konnte Hammers Stimmlage nicht entnehmen, ob er er dieselbe Entdeckung gemacht hatte.
Nach dem Telefonat hatte er das sichere Gefühl, nicht richtig gehandelt zu haben. Er wollte Hammer gerade wieder anrufen, als es an der Tür klopfte.
Martin Ahlberg kannte ein Kellerlokal in einer Seitenstraße, wo es Wildschweinbraten und hervorragendes einheimisches Bier gab.
42
Die Abenddämmerung kroch an den Hüttenwänden herauf. Line wandte den Blick vom Bildschirm und rieb sich die Augen.
Irgendwo hatte sie von einem Autor gelesen, der jeden Tag fünf Seiten schrieb und dann aufhörte, ganz gleich, ob es eine Stunde gedauert hatte oder zehn, ob es gut geworden war oder nicht. Am nächsten Tag ging er das Geschriebene noch einmal durch, löschte die Hälfte und schrieb wieder fünf Seiten.
Sie hatte beschlossen, es ebenso zu machen, und stellte fest, dass ihr Text aufhörte, aus einzel nen Wörtern zu bestehen, sondern eine tiefere und komplexere Bedeutung bekam. Bisher hölzerne und leblose Figuren verloren ihre Starre und wurden zu lebendigen Charakteren.
Irgendetwas veranlasste sie, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Auf der
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