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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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waren nicht viele. Die alte Na Sanchez, weil sie bettlägerig war, und Sénher Galy.«
    »Galy?«
    »Damals wusste ich natürlich von alldem noch nichts. Ich betete noch immer, dass es falscher Alarm sein möge. Dass dem nicht so war, wusste ich erst dann mit Sicherheit, als ich draußen Pferdehufe und das Klirren von Zaumzeug hörte. Dann kamen zwei Soldaten in die Halle gestürmt, und der Tumult brach aus.«
    Mir stockte der Atem.
    »Der Kampf griff im Nu um sich. Die Soldaten konnten zwar leicht zurückgedrängt und das Tor verbarrikadiert werden, aber die Verräter in unserer Mitte waren bewaffnet gekommen, bereit, auf Seiten der Angreifer zu kämpfen. Doch auch sie wurden rasch überwältigt.
    Das Auftauchen der Soldaten war Beweis dafür, dass die Hauptstreitmacht auf dem Weg zu uns war. Die Taktik, Späher vorauszuschicken, war allgemein üblich. Normalerweise erfolgten die Verhaftungen schnell und ohne Blutvergießen. Diesmal jedoch war alles anders. Der entsetzliche Bericht von den Massakern im Tal ließen das befürchten. Meinem Vater und den anderen war klar, dass wir aus dem Dorf fliehen mussten, ehe die Übermacht eintraf.
    Nicht alle waren dazu bereit. Raymond und Blanche Maury sagten, sie seien zu alt, um sich erneut aus ihrem Haus vertreiben zu lassen, und dass sie lieber in ihrem Bett sterben wollten. Doch in der Mehrzahl taten die Leute wie geheißen und verließen den Ostal durch den unterirdischen Tunnel. Die
bons hommes
Guillaume Marty und Michel Authier entschieden sich, zu bleiben und die Soldaten möglichst lange aufzuhalten.«
    Mir drehte sich der Kopf von so vielen Geschichten. So vielen verwirrenden, unverständlichen Details.
    »Meine Mutter hatte schnell gehandelt. Sie und mein Bruder hatten das wenige zusammengepackt, was wir würden tragen können – einen Laib Brot, Bohnen, Wein, Decken –, und warteten bereits am Ausgang des Tunnels.
    Die Flucht fiel meinem Bruder schwer. Er war ein kränkliches Kind und hatte kaum die Kraft, unsere strengen Winter zu überstehen. Ich sah in seinem Gesicht, wie viel Schmerz er litt, obwohl er nicht klagte.« Sie hielt kurz inne. »Er beklagte sich nie, nicht ein einziges Mal.«
    »Wie war sein Name?«, fragte ich sanft.
    »Jean. Er hieß Jean.«
    Wir schwiegen beide einen Moment lang, und die Fäden der Geschichte umflatterten uns wie Bänder im Wind.
    »Wohin seid ihr geflohen? Gab es einen sicheren Ort?«
    »Es gibt gut versteckte Höhlen in diesen Bergen.« Sie deutete über das Tal, über die Dächer des schlafenden Dorfes hinweg auf den Wald, durch den ich auf meinem Weg nach Nulle herabgekommen war.
    »Ganz kleine Öffnungen in der Felswand führen in Höhlen, uralte geheime Verstecke, ein Labyrinth von Gängen und Hohlräumen.«
    Mir fiel ein, dass ich gestern an der Straße Hinweisschilder zu den Höhlen von Niaux und Lombrives gesehen hatte, und ich blickte zurück zu dem Hang, den wir heruntergekommen waren. Wie hatten sie von dieser Seite des Dorfes hinüber auf die andere wechseln können, ohne von den Soldaten gesehen zu werden?
    »Und in diesen Höhlen war Platz genug für euch alle?«
    »Es gibt regelrechte unterirdische Städte, überwältigende, hohe Grotten.« Wieder lächelte sie wehmütig.
    »Erstaunlich.«
    »Ja. So weit wie möglich fuhren wir mit Karren, bis der Weg zu steil wurde. Wir spannten unser Maultier aus, das, wie wir wussten, allein nach Hause zurückfinden würde. Die anderen machten es ebenso. Außerdem hofften wir, dass die Spuren von den Hufen der Tiere und den Rädern der Karren unsere Verfolger in die Irre führen würden.
    Wir machten kehrt und gingen im Schutze des Waldes östlich um das Dorf herum. Dann begannen wir den steilen Aufstieg zu den Höhlen.«
    »Mir ist dennoch nicht klar, wie es euch gelingen konnte, mit so vielen Menschen unbemerkt von den Soldaten zu fliehen.«
    »Wir kannten das Gelände, die Soldaten nicht, und wir hatten Glück. In jener Nacht schien kein Mond. Außerdem war die Hauptstreitmacht noch weiter weg, als wir befürchtet hatten.« Sie sammelte sich kurz. »Wir bewegten uns langsam, hielten uns immer im Schatten und im Schutz der Bäume. Wir hatten keine Fackeln angezündet. Niemand sprach.
    Auf der anderen Talseite führen zwei Pfade durch den Wald nach oben. Einer ist äußerst steil, von Buchsbäumen und Weißbirken überwachsen. Der andere ist länger, aber weniger steil und zudem so breit, dass zwei Personen nebeneinander gehen können.«
    »Ich bin diesen Weg durch den

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