Winterjournal (German Edition)
Collegejahrs, als du dich abermals in eine labile junge Frau verliebtest, die dich gleichzeitig wollte und nicht wollte, und je mehr sie dich nicht wollte, desto stürmischer warst du hinter ihr her. Ein liebeskranker Troubadour und seine unbeständige Herzensdame, und selbst nachdem sie sich einige Monate später bei einem halbherzigen Selbstmordversuch die Handgelenke aufgeschnitten hatte, liebtest du sie weiter, die Frau mit den weißen Bandagen und dem bezaubernden schiefen Lächeln, und kaum hatte man ihr die Bandagen abgenommen, wurde sie schwanger von dir, weil das Kondom, das du benutztest, einen Riss bekam, und dann hat dich die Abtreibung deine gesamten Ersparnisse gekostet. Eine grausame Erinnerung, auch so eins von den Dingen, die dich noch jetzt um den Schlaf bringen, und so überzeugt du davon bist, dass es die richtige Entscheidung war, das Baby nicht zu behalten (Eltern mit neunzehn und zwanzig, ein grotesker Gedanke), quält dich die Erinnerung an dieses nie geborene Kind. Du hast dir immer vorgestellt, es wäre ein Mädchen, ein Mädchen mit rotem Haar, ein phantastisches Feuerwerk von einem Mädchen, und dich schmerzt die Erkenntnis, dass sie jetzt dreiundvierzig Jahre alt wäre, was bedeutet, dass du aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor einiger Zeit, vielleicht vor langer Zeit, Großvater geworden wärst. Wenn du sie hättest leben lassen.
Im Licht deiner früheren Fehler, deiner Fehlurteile, deiner Unfähigkeit, dich selbst und andere zu verstehen, deiner impulsiven und unberechenbaren Entscheidungen, deiner Pfuscherei in Herzensangelegenheiten, scheint es verwunderlich, dass du seit so langer Zeit mit ein und derselben Frau verheiratet bist. Du hast versucht, hinter das Geheimnis dieser unerwarteten Wendung deines Schicksals zu kommen, ohne je eine Antwort finden zu können. Eines Abends bist du einer Fremden begegnet und hast dich in sie verliebt – und sie hat sich in dich verliebt. Du hattest das nicht verdient, du hattest es aber auch nicht nicht verdient. Es ist einfach passiert, und die einzige Erklärung dafür lautet: Es war ein Glücksfall.
Mit ihr war von Anfang an alles anders. Diesmal war es kein Hirngespinst, keine Projektion deiner Phantasie, sondern etwas Reales, eine Frau, deren Realität du dich nicht entziehen konntest, sobald ihr miteinander zu reden anfingt, und das geschah unmittelbar nachdem euer einziger gemeinsamer Bekannter euch nach einer Dichterlesung im Foyer des 92 nd Street Y miteinander bekannt gemacht hatte, und da sie weder schüchtern noch unzugänglich war, da sie dir in die Augen sah und sich als vollkommen unprätentiöses Wesen darstellte, hattest du keine Möglichkeit, aus ihr etwas zu machen, das sie nicht war – keine Möglichkeit, wie du es zuvor mit anderen Frauen getan hattest, sie dir zu erfinden, da sie sich bereits selbst erfunden hatte. Eine Schönheit, ja, zweifellos eine erhabene Schönheit, eine große schlanke Blondine mit prächtigen langen Beinen und den schmalen Handgelenken einer Vierjährigen, die größte kleine Person, oder vielleicht die kleinste große Person, die du je gesehen hattest, und doch war dies kein fernes Bild weiblicher Herrlichkeit, sondern ein lebendiger Mensch, mit dem du da sprachst. Ein Mensch, kein Bild; Täuschungen demnach nicht zugelassen. Täuschungen nicht möglich. Intelligenz ist die einzige menschliche Eigenschaft, die sich nicht vortäuschen lässt, und als deine Augen sich an den blendenden Glanz ihrer Schönheit gewöhnt hatten, erkanntest du, was für eine gescheite Frau sie war, einer der intelligentesten Menschen, denen du jemals begegnet warst.
Als du sie in den folgenden Wochen nach und nach besser kennenlerntest, stelltest du fest, dass ihr praktisch in allen wichtigen Dingen einer Meinung wart. Eure politischen Ansichten waren identisch, die Bücher, an denen euch etwas lag, waren größtenteils identisch, und ihr hattet ähnliche Erwartungen an das, was das Leben euch geben sollte: Liebe, Arbeit und Kinder – Geld und Besitz erst weit unten auf der Liste. Zu deiner großen Erleichterung waren eure Charaktere sich nicht so ähnlich. Sie lachte mehr als du, sie war unbefangener und kontaktfreudiger als du, sie war herzlicher als du, und doch, ganz tief unten, im innersten Kern deines Wesens, hattest du das Gefühl, eine zweite Version deiner selbst getroffen zu haben – aber eine, die weiter entwickelt war als du, besser auszudrücken vermochte, was du in dir verschlossen
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