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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Handschuhe anzuziehen. Sie steckten noch immer in ihrer rechten Anoraktasche. Den Riemen ihrer Tasche mit Geldbeutel und Handy darin hatte sie über den Kopf gezogen, um sie nicht zu verlieren. Das tat sie auch, wenn sie nicht bedroht wurde. Überall dort, wo viele Menschen waren, hatte sie stets eine Hand auf dem Reißverschluss liegen.
    Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. So musste sich ein Insekt fühlen, das sich in einem Spinnennetz verfangen hatte und die Spinne auf sich zukommen sah. Sie saß in der Falle. Seit dem Augenblick, als er den Zug erwischt hatte, war sie ihm hilflos ausgeliefert. Ein erfahrener Killer, der seinem Opfer so nahe auf den Pelz gerückt war, würde sich nicht mehr abschütteln lassen.
    Sie vermied es, dem Mann direkt in die Augen zu blicken, bemerkte aber aus den Augenwinkeln, wie er nach seinem Handy griff und telefonierte. Er sagte wohl seinem Komplizen, wo sie sich befanden. Sie blickte aus dem Fenster und glaubte, den Escalade auf der Straße neben dem Hochbahngerüst im Schneetreiben zu erkennen. Sobald sie ausstieg, würde auch der zweite Mann zur Stelle sein.
    Nervös erkannte sie, wie mehrere Fahrgäste sie erstaunt anblickten. Die übergewichtige Frau, die ihr direkt gegenübersaß und zwei Sitze für sich und ihren kleinen Schoßhund beanspruchte, schüttelte sogar verwundert den Kopf.Ihr wurde klar, was sie für einen Eindruck auf die Leute machen musste. Ihr gehetzter Blick, die Schramme im Gesicht, ihre Unruhe, der Schweiß auf ihrer Stirn … Sie konnte auch ein Junkie oder eine Alkoholikerin sein. Sie glaubte sogar, die Gedanken der Leute lesen zu können: Eine Indianerin, man weiß doch, dass die sich ständig zudröhnen. Warum bleibt sie nicht bei ihresgleichen im Reservat, da kann sie sich das Zeug einwerfen, bis sie tot umfällt. Es gab immer noch Leute, die so dachten.
    Sie riss sich zusammen und versuchte ein Lächeln, das ihr gründlich misslang, wie die abweisende Miene der Frau gegenüber verriet. Aber die war im Moment ihre kleinste Sorge. Der Zug fuhr bereits in den nächsten Bahnhof ein, und ihr musste schnell etwas einfallen, wenn sie noch eine Chance haben wollte.
    Sie zog sich an der Haltestange nach oben und wäre beinahe in den Knien eingeknickt, so schwach war sie auf den Beinen. Zitternd blieb sie stehen. Sie schloss die Augen, um neue Kraft zu sammeln, und öffnete sie wieder, als sie glaubte stark genug zu sein. Die Blicke der meisten anderen Fahrgäste klebten an ihr, und obwohl sie es vermied, der übergewichtigen Frau in die Augen zu blicken, war sie beinahe sicher, dass diese kurz davor war, eine gehässige Bemerkung zu machen. Eine elegant gekleidete Frau, die rechts vor ihr von ihrer Zeitschrift hochblickte, schüttelte nur den Kopf. Wenn ihr wüsstet, dachte Sarah. Am liebsten hätte sie die Leute angeschrien, ihnen klargemacht, dass ein Killer im Nachbarwagen war und nur darauf wartete, ihr eine Kugel in den Kopf jagen zu können, aber wer hätte ihr schon geglaubt?
    Der Zug wurde immer langsamer. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Ohne sich nach dem Verfolger im nächsten Waggon umzublicken, hangelte sie sich von einerHaltestange zur anderen nach vorn. Sie wollte so weit wie möglich von ihm entfernt sein, wenn sie ausstieg. Draußen waren bereits die dunklen Pfeiler der Hochbahnstation zu sehen. Ratternd rauschte der Zug an den wartenden Passagieren auf dem Bahnsteig vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte das Plakat eines Musicals auf. Die Bremsen quietschten laut, die Wagen schaukelten noch mehr als vorher.
    Sarah hatte die vordere Tür erreicht und musste sich mit beiden Händen festhalten, um nicht den Halt zu verlieren. Ihr Blick wanderte zum Ende des Wagens zurück, erfasste die übergewichtige Frau, die ebenfalls aufgestanden war und an der rückwärtigen Tür wartete. Ihre Körperfülle verdeckte die Sicht auf den Killer, der wohl ebenfalls an der Tür stand und nur darauf wartete, den Wagen wechseln zu können.
    Mit einem kräftigen Ruck kam der Zug zum Stehen. Sarah wurde mit der Hüfte gegen eine der beiden Haltestangen geschleudert und verzog vor Schmerz das Gesicht. Hinter ihr fluchte ein Mann, der ebenfalls den Halt verloren hatte. Sie ließ eine der Stangen los und wartete ungeduldig, bis sich die Türen öffneten, sprang noch während des Zischens aus dem Wagen und rannte in einen jungen Mann hinein, der ebenso eilig aus dem Wagen davor gesprungen war. Er packte sie grinsend an den Schultern, sagte »He, nicht so

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