Winterkrieger
Enttäuschungen, keine Tragödien. Alle Illohir genossen – erduldeten? – die absolute Gelassenheit. Erst mit dem Kommen des Fleisches begannen die Kontraste. Wie konnte man wahre Freude kennen, ehe man nicht wahre Verzweiflung kennen gelernt hatte? Der Kontrast war alles. Deshalb hatten die Illohir sich nach einem Leben in Gestalt gesehnt.
Bakilas stieg von dem Hügel herunter und zog sein Schwert. Er ging leise zu seinem schlafenden Pferd und köpfte es mit einem furchtbaren Schwerthieb. Als das Tier zu Boden stürzte, riss Bakilas sein Herz heraus und reckte es in den nächtlichen Himmel, um Anharat zu rufen.
Das Herz ging in Flammen auf.
»Ich bin froh, dass du mich rufst, Bruder«, sagte Anharats Stimme. »Emsharas ist zurückgekehrt.«
»Ich spüre ihn nicht.«
»Seine Macht ist groß. Aber er ist hier. Er versucht unser Schicksal aufzuhalten.«
»Aber warum?« fragte Bakilas. »Du und er, ihr seid die Zwillinge. Seit Anbeginn der Zeiten seid ihr in allem eins gewesen.«
»Wir sind nicht länger eins«, fuhr Anharat auf. »Ich werde ihn schlagen. Ich werde seinen Geist in meiner Hand halten und ihn bis zum Ende aller Zeiten quälen.«
Bakilas sagte nichts. Er spürte eine Freude in Anharat die er seit dem Verrat hatte vermissen lassen. Er freute sich, dass Emsharas zurückgekehrt war! Wie seltsam! Bakilas hatte Anharats Schmerz und Verlust gespürt. Sein Hass auf Emsharas hatte allmählich alles verzehrt ehrend der Jahrhunderte hatte er die Jagd nach seinem Bruder nie aufgegeben, hatte einen Suchzauber nach dem anderen ausgeschickt. Da kam Bakilas ein Gedanke. Vielleicht waren Hass und Liebe in gewisser Weise dasselbe. Beide spiegelten ein intensives Bedürfnis in Anharat wider. Seine Existenz ohne Emsharas war hohl und leer gewesen. Selbst jetzt träumte der Dämonenherrscher nur davon, den Geist seines Bruders in der Hand zu halten. Hass und Liebe. Ununterscheidbar.
»Du musst nach Lem gehen«, sagte Anharat »Verbirg dich dort, bis es Zeit ist zuzuschlagen! Wenn das Kind stirbt und meine Macht anschwillt werde ich Emsharas finden, und dann wird abgerechnet.«
Nayim Pallines hatte Antikas Karios nie gemocht obwohl er das klugerweise jahrelang für sich behalten hatte. Er hatte Kara seit ihrer Kindheit gekannt und war einer ihrer Hochzeitsgäste gewesen. Er hatte ihr strahlendes Glück gesehen und war neidisch auf den liebevollen Blick, den sie ihrem Gatten zuwarf, als sie das Gelöbnis ablegten und das zeremonielle Band um ihre Hände geschlungen wurde.
Zwei Tage später waren beide tot, der Mann ermordet von Antikas Karios, Kara durch eigene Hand. Die Liebe war, wie Nayim wusste, viel zu kostbar, um so beiläufig zerstört zu werden. Als die Tragödie sich ereignete, verwandelte sich seine Abneigung gegen Antikas Karios in Hass.
Und doch, als Oberst bei den Königlichen Lanzenträgern war er verpflichtet diesem Mann zu dienen, seine Befehle entgegenzunehmen, sich vor ihm zu verbeugen. Das war hart gewesen.
Aber heute – mit der Hilfe der QUELLE und dem Mut der fünfzig Mann, die hinter ihm ritten – würde er sowohl dem Hass als auch dessen Gegenstand ein Ende bereiten. Seine Späher hatten sie fünf Kilometer vor den Ruinen von Lem entdeckt und Nayim war nur noch wenige hundert Meter hinter ihnen.
Bald würden sie die Verfolger sehen. Nayim konnte sich das gut vorstellen. Die Flüchtenden würden in einem letzten, verzweifelten Versuch zu entkommen auf ihre Pferde einpeitschen. Aber die müden Tiere würden schon bald von den kräftigen Pferden der Lanzenreiter eingeholt Nayim hoffte halb, dass Antikas Karios um sein Leben flehen würde. Doch schon als ihm dieser Gedanke kam, wusste er, dass dem nicht so sein würde. Trotz seiner Übeltaten war Antikas ein Mann von Mut. Er würde sie alle angreifen.
Nayim war nicht mehr als ein durchschnittlicher Schwertkämpfer. Er musste sichergehen, dass er zurückfiel wenn der Angriff begann. Er hatte zwar keine Angst zu sterben, aber er wollte die Gefangennahme von Antikas Karios nicht verpassen.
Sein Sergeant Olion ritt heran, sein weißer Umhang flatterte im Wind. Ein Schmutzfleck war auf dem Umhang. Olion war ein ausgezeichneter Reiter und ein guter Soldat, aber unfähig zur Ordnung, welchen disziplinarischen Maßnahmen er auch unterworfen wurde. Der hohe, gewölbte Bronzehelm und der zeremonielle Umhang waren entworfen worden, um der Rüstung der Lanzenreiter mehr Großartigkeit zu verleihen. Doch bei Olion, der klein und untersetzt war und
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