Winterkrieger
rächen?«
»Allerdings«, gab Nogusta zu.
»Du scheinst bemerkenswert ungerührt von dieser Aussicht.«
»Der Schein trügt manchmal«, erklärte Nogusta.
Der Vormittag verging, und die Worte Nogustas verfolgten den jungen Offizier immer noch. Sie waren mit einer solch ruhigen Gewissheit gesprochen – je mehr Dagorian darüber nachdachte, um so überzeugter war er, dass sie der Wahrheit entsprachen. Malikada galt als nachtragend. Unter den Offizieren der Drenai kursierten viele Geschichten über den ventrischen Prinzen und seine Methoden. Einer Geschichte zufolge hatte Malikada einmal einen Diener zu Tode geprügelt, weil dieser ihm ein Hemd ruiniert hatte. So weit Dagorian wusste, gab es keinen Beweis für dieses Gerücht, aber es unterstrich die allgemeine Ansicht über Malikada.
Ein solcher Mann würde allerdings einen Groll gegen Banelion hegen.
Da er noch mindestens zwei Stunden Zeit hatte, ehe sein Dienst begann, beschloss Dagorian, den General aufzusuchen. Er liebte den alten Mann auf eine Weise, wie er seinen eigenen Vater nie hatte lieben können. Er hatte oft versucht herauszufinden, woran das lag, aber nie eine Antwort finden können. Beide waren harte, kalte Männer, dem Krieg und seinen Methoden verfallen. Und doch konnte er in Banelions Gegenwart entspannen, die Worte kamen ihm leicht über die Lippen, die Unterhaltung verlief glatt. Bei seinem Vater wurde ihm die Kehle eng, sein Gehirn schmolz zusammen. Sein Verstand schickte klare, zusammenhängende Gedanken zu seinem Mund, doch sie schienen unterwegs betrunken zu werden und kamen als – so schien es ihm wenigstens selbst – stotternder Unsinn heraus.
»Spuck es aus, Junge!« pflegte Catoris dann zu sagen. Dann versiegten die Worte ganz, und Dagorian stand ganz still und kam sich ausgesprochen töricht vor.
In seinem ganzen Leben konnte er sich nur an einen einzigen Moment erinnern, in dem sein Vater ihm Zuneigung gezeigt hatte. Und das war nach dem Duell. Ein Edelmann namens Rogun hatte Dagorian herausgefordert. Es war alles so albern. Eine junge Frau hatte ihn angelächelt, und er hatte die Geste erwidert. Der Mann, der bei ihr war, stürmte über die Straße. Er schlug Dagorian ins Gesicht und forderte ihn heraus.
Sie hatten sich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf dem Paradegelände der Kavallerie getroffen. Catoris war dabei gewesen. Er beobachtete den Kampf mit ausdrucksloser Miene, aber als Dagorian den Todesstoß versetzte, lief er herbei und umarmte ihn unbeholfen. Jetzt dachte er mit Bedauern daran, denn statt die Umarmung zu erwidern, hatte er sich zornig losgemacht und sein Schwert fortgeworfen. »So etwas Dummes!« wütete er. »Er ließ sich töten wegen eines Lächelns!«
»Es war ein Ehrenduell«, entgegnete sein Vater lahm. »Du solltest stolz sein.«
»Mir ist schlecht«, sagte Dagorian.
Am nächsten Tag war er in das Kloster von Corteswain eingetreten, um sein Leben der QUELLE zu weihen.
Als sein Vater bei Mellicane fiel, bei einem Angriff, der das Leben des Königs rettete, hatte Dagorian einen ungeheuren Kummer verspürt. Er zweifelte nicht daran, dass sein Vater ihn liebte oder dass er seinen Vater liebte. Aber – abgesehen von dieser einen Umarmung – waren die beiden nie in der Lage gewesen, einander ihre Zuneigung zu zeigen.
Dagorian schüttelte die Erinnerungen ab und ging zum Tor, vor dem die Menschenmenge geduldig wartete. Sie teilte sich und jubelte, als der ventrische Zauberer Kalizkan eintrat. Groß und würdevoll, in einer Robe aus silbernem, golddurchwirktem Seidenstoff, lächelte der Zauberer mit dem silbergrauen Bart, winkte, blieb hier und dort stehen, um mit den Leuten in der Menge zu sprechen. Sechs kleine Kinder blieben dicht bei ihm und hielten sich an den Fransen seines Gürtels fest. Er blieb vor einer jungen Frau mit zwei Kindern stehen. Sie trug die schwarze Leibbinde einer kürzlich Verwitweten, und die Kinder sahen dünn und unterernährt aus. Kalizkan beugte sich zu ihr und legte seine Hand auf die billige Blechbrosche, die sie an ihrem zerlumpten Kleid trug. »Ein hübsches Stück«, sagte er, »aber für eine so traurige Dame sollte es aus Gold sein.« Licht tanzte von seinen Fingern, und die Brosche glitzerte im Sonnenschein. Wo sie steckte, ließ das schiere Gewicht des Goldes das Kleid herunterrutschen. Die Frau fiel auf die Knie und küsste den Saum von Kalizkans Gewand. Dagorian lächelte. Solche Taten hatten den Zauberer beim Volk beliebt gemacht. Er hatte auch sein
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