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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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Vertriebenen?“
    „Wie kann man Leid messen, Finnikin? Leidet ein Mann, dessen Familie verhungert ist, weniger als einer, dessen Familie ermordet wurde? Ist es schlimmer zu ertrinken, als zertrampelt zu werden? Ist es besser, seine Frau im Kindbett zu verlieren, als sie auf dem Scheiterhaufen brennen zu sehen? Tod ist Tod und Verlust ist Verlust. Ich habe in den Träumen dieser Menschen ebenso viel Verzweiflung gesehen wie in den Träumen der Vertriebenen. Als ich die Worte auf dem Leib des Kindes sah, spürte ich ihre Ungeduld und ihre Angst. Ist Rettung nahe?“
    „Sie werden bald eine Antwort auf diese Frage bekommen.“
    „Wenn es eine Zukunft für uns in Lumatere gibt und du nicht zum Obersten Ratgeber Balthasars berufen wirst“, fragte sie ein wenig munterer, „wie würdest du dann den Rest deines Lebens verbringen?“
    „Erstens“, antwortete er und verscheuchte eine Fliege auf ihrer Nase, „wenn wir eine Zukunft in Lumatere haben, dann gehöre ich zur Garde meines Vaters. Und zweitens: Sir Topher wäre der Oberste Ratgeber Balthasars.“
    „Erstens ist es nicht die Garde deines Vaters, sondern die des Königs. Und zweitens: Sir Topher würde sicherlich wollen, dass du an seiner Seite bleibst und Balthasar berätst.“
    Finnikin ahmte ihre missbilligende Miene nach und sie kicherte vergnügt. „Du willst wissen, was ich tun würde, wenn ich ein ganz normaler Dorfbewohner wäre?“ Er ließ den Blick nachdenklich über die Wiese schweifen. „Ich würde mich um zehn Morgen Land bewerben. Dann würde ich im Tiefland ein kleines Haus bauen und mit meiner Braut zusammen würde ic h …“
    „Und wo würdest du dir eine Braut suchen?“, fiel sie ihm ins Wort.
    „Eine Novizin aus dem Kloster der Lagrami wäre nicht schlecht“, antwortete er großspurig. „Hauptsache, sie gehorcht.“
    „Und sie besitzt die Gabe, dich zu Tode zu langweilen, wenn man Lady Abian glauben darf.“
    „Das macht nichts. Ich werde abends so müde sein, dass ich nur noch ans Schlafen denke.“
    Sie prustete und zog eine Grimasse. „Ausgerechnet du?“
    Er musste lachen. „Was soll das heißen?“
    „In der vergangenen Nacht hast du dich an mich gedrückt, Finnikin. Ich hab e … gespürt, dass Schlafen das Letzte war, an das du gedacht hast.“
    „Sehr undamenhaft von dir, es zu erwähnen“, sagte er.
    Sie berührte die Fältchen um seinen Mund. „Du siehst hübsch aus, wenn du lachst.“
    „Hübsch? Das ist nicht unbedingt eine Beschreibung, über die sich ein Mann freut.“ Er grinste. „Ich hoffe sehr, dass man eines Tages so von mir sprechen wird, wie man heute von meinem Vater spricht.“
    „Schon gut, du schweigsamer schwarzer Bär mit deinem zornigen Stirnrunzeln. Erzähl mir mehr von deinen zehn Morgen Land.“
    Er legte sich wieder der Länge nach hin und stellte sich sein Land vor. „Ich würde mich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang um das Feld kümmern, und dann würdest d u … würde sie sich um mich kümmern.“
    Wieder musste er über ihren Gesichtsausdruck lachen. Die schreckliche Welt der Flüchtlingslager ebenso wie das Tal der Stille schienen weit weg zu sein. Am liebsten wäre er für immer hier in dieser Wiese liegen geblieben.
    „Ich werde dir etwas von deiner Braut erzählen“, sagte sie und stützte sich auf die Ellenbogen. „Ihr werdet gemeinsam das Land bebauen. Du wirst den Pflug führen und sie wird neben dir herlaufen und den Ochsen gut zureden. Natürlich auch mit einem Stecken in der Hand, denn sie muss ja dafür sorgen, dass ihr beide, du und der Ochse, spurt.“
    „Und was bauen wir an, meine Braut und ich?“
    „Weizen und Gerste.“
    „Und Ringelblumen.“
    Sie zog fragend die Nase hoch.
    „Ich werde sie pflücken, wenn sie blühen“, sagte er. „Und wenn sie mich zum Essen nach Hause ruft, werde ich ihr die Blumen ins dunkle Haar stecken und das wird so wunderschön aussehen, dass es mir glatt den Atem verschlägt.“
    „Wie wird sie dich denn rufen von dem kleinen Häuschen aus? Wird sie lauthals ,Finnikin!‘ rufen?“
    „Ich werde ihr beibringen, wie man pfeift. Einen Pfiff am Tag, einen anderen Pfiff in der Nacht.“
    „Ach ja, die Pfiffe, natürlich. Die Pfiffe hatte ich vergessen.“
    Er übte mit ihr und lachte über ihre ersten Versuche und übte weiter, bis sie die Pfiffe beherrschte.
    Nach einer Weile kam Froi zu ihnen gelaufen. Seine Miene war düster.
    „Hauptmann sagt, ich soll euch holen. Wir brechen auf.“
    „Sprich Lumaterisch, Froi. Du bist

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