Wintermädchen
uns. Ich muss mit meiner Tochter sprechen.«
Elijah zittert vor Kälte und versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. »Warum hast du mir nicht deinen richtigen Namen gesagt?«
Auf der Straße schalten die Autofahrer in niedrigere Gänge, um in einer langsamen Kolonne den Hang hinabzufahren.
»Das tut mir leid«, sage ich. »Ich kann es erklären.«
»Ich denke, du hast eine ganze Menge zu erklären«, sagt Dr . Marrigan.
»Nein, habe ich nicht, Mutter«, fahre ich sie an. »Dr . Parker hat mir gesagt, dass ich herkommen kann, was dich übrigens nicht das Geringste angeht. Nichts von dem, was ich tue, geht dich noch irgendetwas an.«
Elijah zuckt zusammen, als er die Rasierklingen in meiner Stimme hört.
Gerade will Dr . Marrigan antworten, als ein Mann und eine Frau nach ihr rufen. Ich kenne sie nicht, aber Dr . Marrigan offenbar, denn sie wendet sich ab und geht hinüber, um mit den beiden zu reden.
»Okay, sie ist anstrengend«, sagt Elijah leise. »Keine psychisch Gestörte, aber ein bisschen überdreht.«
»Sie hasst es, wenn ich selbstständig denke«, sage ich.
Mom hat ihr freundliches Gesicht aufgesetzt, super geeignet zum Händeschütteln nach der Kirche oder wenn man im Supermarkt ehemaligen Patienten in die Arme läuft.
»Du siehst aus wie sie«, sagt Elijah. »Abgesehen von der Haarfarbe.«
»Das ist kein Kompliment.«
»Sie bringt dich wirklich auf die Palme, was?«, fragt er.
»Sie hat ein gewisses Talent dazu.«
»Und deine Lösung ist davonzulaufen?«
»Hat doch bei dir auch funktioniert.«
Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Na ja, eigentlich nicht.«
Ich sollte ihm wirklich seine Jacke wiedergeben, aber dann gefriere ich sofort zu einem Eisklumpen, und sobald sie dann irgendetwas Gemeiner zu mir sagt, zersplittere ich in tausend Teilchen.
Elijah öffnet die Arme wieder und haucht sich auf die Finger. »Auch wenn deine Mutter durchgeknallt ist, geht sie doch immerhin auf dich zu, das musst du zugeben.«
»Sie geht nicht auf mich zu, sie nimmt mir die Luft zum Atmen!«
Ein Mitarbeiter vom Bestattungsinstitut faltet die künstlichen Grasstreifen zusammen, die den Boden im Zelt bedeckten. Ein Mann in einem roten Parka fährt mit einem Minibagger ans Grab. Der Wind weht dem Bestatter den Hut vom Kopf und er läuft ihm hinterher.
Als das fremde Ehepaar weggeht, dreht sich Dr . Marrigan wieder zu uns um. »Ich muss schnell ins Krankenhaus, nach einem Patienten sehen. Wartest du bei mir zu Hause auf mich?«
Elijah stößt mit seinem Stiefel gegen meinen Turnschuh.
»Gut«, sage ich, ohne nachzudenken. »Aber erst muss ich noch Elijah heimfahren.«
Ihre Lider flattern, während sie versucht, die Fassung zu bewahren. Sie hatte mit einem Streit gerechnet, der nun ausbleibt.
»Also gut«, sagt sie leicht verunsichert. »Dann bis gleich. Fahr vorsichtig.«
»Okay.«
Als sie davonstapft, betätigt der Bestatter einen Knopf auf einer kleinen Fernbedienung, woraufhin Cassies Sarg in die Erde sinkt.
033.00
Elijah und ich gehen schweigend zum Wagen zurück.
»Bist du sauer auf mich?«, frage ich schließlich und entriegele die Türen. »Wegen der Sache mit dem Namen?«
»Ich glaube nicht«, antwortet er.
»Ich kann das erkläre n …«, fange ich an.
Er hebt abwehrend die Hände. »Können wir einfach mal eine Weile nicht reden?«, sagt er leise. »Mein Kopf ist ein bisschen zu voll. Tote Menschen und wütende Eltern sind keine gute Kombi für mich. Ich brauch ’ne Auszeit.«
»Okay.«
Wir schweigen bis zur Moteleinfahrt. Ich parke direkt vor seinem Zimmer und gebe ihm seine Jacke wieder zurück.
»Vielen Dank für alles, was du heute getan hast.«
»Schon okay. Danke fürs Fahren.«
Er nimmt die Jacke, steigt aus, schlägt die Wagentür zu und geht.
Ich kurbele das Fenster herunter. »Warte! Wann können wir drüber reden?«
»Weiß ich nicht.« Er zieht seinen Schlüssel aus der Hosentasche.
»Ich hab vergessen, meinen Vater nach dem Schrottplatz zu fragen«, sage ich. »Ich ruf dich an, sobald ich was weiß.«
»Danke.« Er verschwindet in der Dunkelheit seines Zimmers.
Ich bin mir nicht sicher, warum seine Laune so umgeschlagen ist. Vielleicht liegt auf Friedhöfen irgendetwas in der Luft, was sich durch die Haut frisst und einen infiziert. Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb mir ganz plötzlich ebenfalls schlecht wird. Ein Anfall von Übelkeit walzt sich durch meinen Bauch wie eine Planierraupe. Trauerwuttrauerchaos, alles erstickt mich. Ich kämpfe gegen
Weitere Kostenlose Bücher