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Wintermond (German Edition)

Wintermond (German Edition)

Titel: Wintermond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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rückwärts, hielt seinen Mund dabei vor Entsetzen geöffnet. Panik stieg in ihm auf und jagte ein brennendes Gefühl durch seine Nervenbahnen. Wahrscheinlich würde bald alles auffliegen und er selbst schien längst tiefer in der Scheiße zu hängen, als er bislang gedacht hatte. Etwa einen Meter von der Tür entfernt blieb er nachdenklich stehen, presste die Lippen zusammen und versuchte sich zu beruhigen. Doch das gelang ihm nicht, stattdessen machte sich eine tiefe Verzweiflung in ihm breit, bedingt durch das große Durcheinander in seinem Kopf. Er ging wieder vorwärts, holte aus und schlug kräftig gegen den Türrahmen.
    „FUCK!“, schrie er und spürte gleich darauf einen höllischen Schmerz durch seine Hand ziehen. Dennoch holte er ein weiteres Mal aus und schlug dreimal hintereinander fest gegen die dreckige Wand neben dem zersplitterten Rahmen und dem sich darauf befindenden Polizeisiegel.
    „Fuck, Fuck, fuck!“, fluchte er dabei und ließ seine Hand langsam von der kühlen Wand gleiten, um sich gleich darauf mit dieser durchs Gesicht zu fahren. Seine Handinnenfläche war vom Zuschlagen etwas taub. Das Kribbeln in ihr spiegelte nur zu gut die Verzweiflung wider, die sich durch Alex’ Körper bahnte. Unzählige Gedanken zogen durch seinen Kopf und verursachten in ihm ein allmählich aufkommendes Gefühl von Schwindel. Er dachte an Sam, seinen Vater, seine Mutter und wieder an Sam. Dann dachte er an Diego, die hohen Schulden, Ben und den Einbruch. Gleich darauf an den Studenten, die Typen, denen er das Geld schuldete, den Streit mit seinem Vater und den Kuss mit Ben. All diese Gedankenzüge wiederholten sich kontinuierlich, waren chaotisch, farblos und glichen einer unaufhörlichen Dauerschleife. So sehr er sich auch bemühte, schaffte er es einfach nicht, auch nur auf einen dieser wirren Gedanken einzugehen, um für Ordnung in seinem Kopf zu sorgen. Er fühlte sich miserabel, ertappt und war ängstlich. Vor seinem geistigen Auge spielte sich bereits ab, wie er und Diego im Knast landen würden und sein von Problemen gefülltes Leben mit einem dazu passenden Abschluss enden würde. Er war nervös und traute sich nicht einmal mehr, dieses Wohngebäude zu verlassen - aus Angst, gesehen und mit irgendetwas in Verbindung gebracht zu werden, wenn nicht genau dies schon längst geschehen war. Er senkte seine Hand wieder und begann fahrig in seiner Jackentasche nach Zigaretten zu wühlen. Doch er hatte keine dabei. Diese Tatsache ließ seine Nervosität nur umso größer werden. Zwar wollte er längst mit dem Rauchen aufgehört haben und war froh, dieses elendige Laster einigermaßen hinter sich gebracht zu haben, doch in den letzten Wochen war einfach so viel passiert, dass der Stress ihn wieder öfter zur Zigarette greifen ließ. Für einen kurzen Moment wurde sein gesamtes Denken angehalten. Sein ganzer Kopf war wie leer gefegt. Er dachte an nichts, starrte lediglich wie gebannt auf das polizeiliche Siegel und legte seinen Kopf dabei etwas schief. In jenem Moment schien der kleine, längliche Aufkleber ein Symbol für all das zu sein, was Alex in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Es wirkte bedrohlich und gleichzeitig wie eine Warnung auf ihn. Tief in sich wusste er längst, dass sein gesamtes Leben den Bach heruntergegangen war, doch genau diese Tatsache konnte er unentwegt erfolgreich aus seinem Alltag verbannen. Aber jetzt, wo er im Flur stand, unmittelbar vor der demolierten Tür seines Kumpels, wurde es ihm bewusster als je zuvor: Er war kriminell. Er hatte an illegalen Pokerspielen teilgenommen, sich heftig verschuldet, hatte für kurze Zeit eine Waffe besessen, war bei einer unschuldigen Frau eingebrochen und hatte tatenlos dabei zugesehen, wie Diego einen jungen Typen halbtot geschlagen hatte. Er war also nicht nur kriminell, sondern zugleich ein echtes Arschloch, das andere mit in seine Probleme riss. Doch dann musste er plötzlich unerwartet grinsen und das aus purer Selbstironie, denn in Gedanken durchspielte er eine Szene, in welcher ein Täterprofil von ihm erstellt wurde. Er war sich sicher, dass jeder Psychologe ihn in derselben Kategorie einstufen würde. Einer Kategorie, die für Problemkinder bestimmt war. Man würde den Beginn seiner frevlerischen Laufbahn auf den Tod seiner Mutter und den seines besten Freundes zurückführen und vermutlich auch auf die zu hohen und für ihn unerreichbaren Anforderungen seines Vaters. Ja, genau damit würde man sein gesamtes Handeln entschuldigen und

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